Rechtsfrage: Was ist zu tun bei Ordnungsbussen im Fuhrpark?
Posted by: Michael Lusk
Die Firma X betreibt eine eigene Fahrzeugflotte und erfasst alle Dienstfahren in einem Fahrtenbuch. Weil das Fahrtenbuch jedoch unvollständigen geführt wurde, kann eine Ordnungsbusse nicht dem verantwortlichen Mitarbeiter und Lenker des Dienstwagens zugeordnet werden. Die Firma X stellt sich die Frage, welche finanziellen Konsequenzen ihr als Worst-Case-Szenario drohen und was sie tun kann, um eine mögliche Haftung abzuwenden?

Text: Philipp Brunner
1. Einleitung
Das Schweizer Strafrecht folgt dem Grundprinzip, dass bei einer strafrechtliche Handlung ausschliesslich die schuldhaft handelnde Person bestraft werden darf. Im vorliegenden Fall wäre folglich der schuldhaft handelnde Mitarbeiter und Fahrzeuglenker zu bestrafen, welcher aufgrund des lückenhaft geführten Fahrtenbuchs jedoch unbekannt ist. Von diesem strafrechtlichen Grundprinzip gibt es eine Ausnahme im Ordnungsbussenbereich.
2. Halterhaftung nach Ordnungsbussengesetz
Falls der Fahrzeuglenker anlässlich der fehlbaren Handlung nicht angetroffen oder angehalten und direkt gebüsst werden kann, was vorliegend der Fall ist, wird die Bussenverfügung der Firma X als Fahrzeughalterin auferlegt, zahlbar innert 30 Tagen. Bei nicht fristgemässer Bezahlung wird ein ordentliches Strafverfahren gegen die Firma X als Fahrzeughalterin eröffnet (Art. 7 Abs. 1 – 3 Ordnungsbussengesetz (OBG)).
Die Firma X könnte die Zahlung der Busse theoretisch abwenden, indem sie den fehlbaren Fahrzeuglenker gegenüber der Behörde namentlich bezeichnet (Art. 7 Abs. 4 OBG). Tut sie dies innert Frist von 30 Tagen, wird die Busse an den fehlbaren Lenker eröffnet, welcher entweder die Busse begleichen oder im eigenen Namen und auf eigenes (Kosten-)Risiko ein Rechtsmittel gegen die Bussenverfügung einlegen kann. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht möglich, da der Fahrzeuglenker unbekannt ist.
Kann (oder will) die Fahrzeughalterin den fehlbaren Lenker nicht bezeichnen, oder kann der Lenker im Strafverfahren mit verhältnismässigem Aufwand nicht festgestellt werden, haftet die Fahrzeughalterin ersatzweise, und in Abkehr vom eingangs erwähnten strafrechtlichen Grundprinzip, für die Bezahlung der verfügten Ordnungsbusse (Art. 7 Abs. 5 OBG).
3. Gesetzeslücke geschlossen
Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung nach Art. 7 OBG im Zuge der Umsetzung der Via Sicura eine Gesetzeslücke schliessen, indem ausnahmsweise und in Abkehr vom eingangs erwähnten Grundprinzip die Fahrzeughalterin für die Bezahlung der Ordnungsbusse haftet, obwohl sie die Übertretung selbst nicht verschuldet hat. Damit sollten Fälle vermieden werden, in welchen die Fahrzeughalterin unter Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht ihre Mitwirkung im Strafverfahren verweigerte, der fehlbare Lenker nicht ermittelt und damit keiner Strafe zugeführt werden konnte.
Nach der Revision des OBG im Jahr 2016 bestand zunächst noch eine Gesetzeslücke bei der Anwendung von Art. 7 OBG auf Unternehmen (juristische Personen, Gesellschaften, Einzelfirmen), wie das Schweizerische Bundesgericht feststellte (BGer 6B_252/2017 vom 20.06.2018, Erw. 3.2). Diese Gesetzeslücke wurde bereits in der Ausgabe 05/2022 dieses Magazins ausführlich erläutert. Die Halterhaftung konnte auf Unternehmen demnach nicht angewendet werden und Unternehmen mussten theoretisch solche ersatzweisen "Halterbussen" nicht bezahlen. Per 1. Oktober 2023 hat der Gesetzgeber jedoch diese Gesetzeslücke mit einer Änderung von Art. 7 Abs. 1 OBG geschlossen. Somit kommen auch Unternehmen nicht mehr umhin, Ordnungsbussen zu bezahlen, wenn sie den fehlbaren Fahrzeuglenker nicht bezeichnen können oder wollen.
4. Kostenrisiko
Das Kostenrisiko bei Ordnungsbussen ist für die Firma X jedoch überschaubar. Die Höhe einer Ordnungsbusse beträgt nach Gesetz maximal CHF 300 (Art. 1 Abs. 2 OBG). Vorsicht ist geboten, falls ein ordentliches Strafverfahren gegen die Firma X eröffnet würde. Neben der Ordnungsbusse können im Strafverfahren rasch hohe Verfahrenskosten anfallen, welche nach Massgabe des Unterliegens dann der Firma X auferlegt würden.
Da die Firma X im vorliegenden Fall keine Chance hat die Ordnungsbusse durch Nennung des fehlbaren Lenkers abzuwenden, ist sie gut beraten, die Ordnungsbusse innert angesetzter Frist zu begleichen und dadurch die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen sich abzuwenden. Auch eine Einsprache gegen die Ordnungsbussenverfügung wäre kaum zielführend; Mangels Kenntnis des Lenkers und der Tatumstände kann die Firma X keine entlastenden Beweise für ihre Position vorbringen und wäre damit im Einspracheverfahren chancenlos.
5. Andere Übertretungen
Bei Übertretungen, welche den Rahmen des Ordnungsbussenkatalogs bzw. der Ordnungsbussenvorordnung (OBV) verlassen, gilt die Halterhaftung nach Art. 7 OBG nicht. In diesen Fällen wird stets ein ordentliches Strafverfahren gegen den fehlbaren Fahrzeuglenker wegen Verletzung des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) eröffnet. Die Firma X als Fahrzeughalterin ist in diesem Strafverfahren allenfalls zur Mitwirkung verpflichtet. Bei schwerwiegenden Verstössen gegen das Strassenverkehrsgesetz durch den Fahrzeuglenker, z.B. Fahren im angetrunkenen Zustand, erhebliche Geschwindigkeitsübertretungen etc., hat die Firma X somit keine strafrechtlichen oder finanziellen Konsequenzen zu befürchten.
6. Fazit
Um die ersatzweise Zahlung einer Ordnungsbusse nach Art. 7 OBG zu vermeiden, sollte die Fahrzeughalterin ein Fahrtenbuch über die Nutzung ihrer Firmenfahrzeuge führen und wenn möglich sämtliche Fahrten inkl. Angabe des verantwortlichen Fahrzeuglenkers eintragen. Nur auf diese Weise kann die Firma X Ordnungsbussen durch Bezeichnung des fehlbaren Lenkers von sich abwenden. Nach Eingang der Bussenverfügung sollte die Firma X der ausstellenden Behörde den fehlbaren Lenker schriftlich anzeigen (Name und Adresse).
In der wohl überwiegenden Anzahl der Fälle wird der Lenker die Busse begleichen und schon aus Kostengründen kein Rechtsmittel einreichen. Ist der Fahrzeuglenker hingegen nicht bekannt, sollte die Fahrzeughalterin die Ordnungsbusse innert Frist bezahlen, um weitere (unnötige) Verfahrenskosten abzuwenden.
Überdies sind unter Umständen auch arbeitsrechtliche Konsequenzen, bei Führerausweisentzug bis hin zur (fristlosen) Kündigung, gegen den fehlbaren Arbeitnehmer denkbar. Diese Themen wurden bereits in den Ausgaben 05/2022, 03/2024 und 06/2024 dieses Magazins ausführlich behandelt.
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