10. März 2022

Dienstwagen nach Unfall in der Reparatur – Besteht Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung?

Ein Dienstwagen der Firma XY wurde kürzlich unverschuldet in einen Unfall verwickelt. Die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers beglich den Fahrzeugschaden vollumfänglich. Die Reparatur des Fahrzeuges dauerte aufgrund der starken Beschädigung rund zwei Wochen. Der Ausfall konnte mittels eigenem Poolfahrzeug der Firma XY überbrückt werden. Trotzdem würde die Firma XY gerne wissen, ob sie für die Dauer der Reparatur eine Nutzungsausfallentschädigung geltend machen kann.

Dienstwagen nach Unfall in der Reparatur – Besteht Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung?
Dienstwagen nach Unfall in der Reparatur – Besteht Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung?

Ob der Nutzungsausfall eines Fahrzeugs einen ersatzfähigen Schaden darstellt, ist rechtlich umstritten. Um die Frage beantworten zu können, müssen wir zunächst ein Blick auf die Schadensdefinition gemäss schweizerischer Lehre und Rechtsprechung werfen.

 

Der Schaden im Rechtssinne

Die Schweizer Rechtsordnung geht von einem ökonomischen Schadensbegriff aus. Demnach kann Schadenersatz nur als Ausgleich für eine unfreiwillige Vermögensverminderung gefordert werden, welche in einer Verminderung der Aktiven, einer Vermehrung der Passiven oder in einem entgangenen Gewinn bestehen muss. Der Schaden besteht demnach nicht in der Beeinträchtigung als solcher (z.B. einer Sachbeschädigung), sondern in deren ökonomisch messbaren Folge (z.B. Reparaturkosten, Wertverminderung). Der Schaden bestimmt sich ziffernmässig aufgrund der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Stand des Vermögens des Geschädigten und dem Stand, den sein Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte (sog. Differenztheorie).

 

Rechtsdogmatisch fraglich – und in der Literatur umstritten – ist hierbei, ob ein zeitweiliger Nutzungsausfall, d.h. der Verlust eines Gebrauchsvorteils einer Sache, zu einem Schadenersatzanspruch legitimieren soll. Der Nutzungsausfall als solcher (im Sinne der vorerwähnten Beeinträchtigung) stellt keinen Schaden im Sinne der erwähnten Differenztheorie dar. Die Tatsache alleine, dass das Fahrzeug während einer gewissen Dauer nicht genutzt werden kann ist zwar fraglos eine gewisse Unannehmlichkeit, hat für sich alleine jedoch keinen direkten Einfluss auf den Vermögensstand des Geschädigten. Der Nutzungsausfall ist mit anderen Worten weder eine Verminderung eines Aktivums noch eine Vermehrung eines Passivums und auch kein entgangener Gewinn.

 

Kommerzialisierungs- oder Frustrationsschaden

Ein Teil der Literatur versucht, dieses in ihren Augen unerwünschte Resultat der Differenztheorie durch alternative Schadensdefinitionen abzufedern. Gemäss der Kommerzialisierungstheorie hat jedes Gut, das gegen Geld erlangt werden kann, einen Vermögenswert, so auch die Nutzung eines Fahrzeugs im Geschäftsverkehr, welche nur gegen Entgelt zu erwerben ist. Die Beeinträchtigung dieser geldwerten Nutzung (d.h. der Gebrauchswert) stellt gemäss dieser Theorie einen Vermögensschaden dar, indem dem Geschädigten durch den Nutzungsausfall das Äquivalent seiner bereits getätigten, geldwerten Aufwendungen verloren geht.

 

Nach der Frustrationstheorie sind freiwillig gemachte Aufwendungen wie Schäden zu ersetzen, wenn sie durch ein Schadensereignis nachträglich entwertet werden. Damit liesse sich eine Entschädigung des Nutzungsausfalls begründen, indem der Geschädigte für den Erwerb und den Unterhalt eines Fahrzeugs Aufwendungen getätigt hat (z.B. Steuern, Garagenmiete, Versicherung etc.), durch dessen Gebrauchsausfall jedoch den erwarteten Gegenwert nicht erhält. Gegen die Frustrationstheorie wird eingewendet, dass es sich bei diesen Aufwendungen nicht um unfreiwillige Vermögenseinbussen handle, sondern um freiwillige Aufwendungen, welche zudem bereits vor dem Schadenereignis getätigt und damit nicht durch dieses verursacht wurden.

 

Die Gerichte in Deutschland wenden in Motorfahrzeugfällen die Kommerzialisierungstheorie an und sprechen dem Geschädigten unter gewissen Bedingungen eine abstrakte Nutzungsentschädigung zu, und zwar unabhängig davon, ob dieser ein Ersatzfahrzeug anmietet oder nicht. Auch einzelne kantonale Gerichte in der Schweiz (vornehmlich in der Westschweiz) sind den vorgenannten Theorien gefolgt, haben den Nutzungsausfall eines Fahrzeugs in Einzelfällen als Schaden bejaht (zumindest so lange, bis ein Ersatzfahrzeug beschafft werden kann) und entsprechende Tagespauschalen zugesprochen. Eine gefestigte kantonale Rechtsprechung hat sich daraus jedoch nicht entwickelt.

 

Das Schweizerische Bundesgericht lehnt diese Theorien und die damit verbundene Erweiterung des Schadensbegriffs ab und hält an der Schadensdefinition gemäss Differenztheorie fest (BGE 126 III 288, 393; BGE 127 III 403, 405; BGE 132 III 379, 384). Dem ist auch ein Grossteil der Schweizer Lehre gefolgt, sodass sich die alternativen Schadenstheorien hierzulande bisher nicht durchsetzen konnten. Daraus ergibt sich, dass die entgangene Nutzungsmöglichkeit eines Fahrzeugs, welche keine unmittelbare finanzielle Auswirkung hat, hierzulande keinen Schaden im Rechtssinne darstellt und damit nicht schadenersatzfähig ist.

 

Ersatzfähige Schäden bei Nutzungsausfall

Dies bedeutet jedoch nicht, dass im Zusammenhang mit einem Nutzungsausfall keinerlei Schäden ersatzfähig wären. Der Nutzungsausfall des Fahrzeugs als solcher ist zwar noch kein Schaden im Rechtssinne, er kann aber eine mögliche Ursache eines solchen (ersatzfähigen) Schadens sein. Der geschädigte Fahrzeughalter muss demzufolge nicht nur den Nutzungsausfall beweisen, sondern auch dessen finanzielle Auswirkungen. Nur Letztere sind ersatzfähig.

 

So sind zum Beispiel die Mehrkosten für die Miete eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs ein ersatzfähiger Schaden, sofern ein solches Mietfahrzeug erforderlich ist. Die Mietkosten sind zumindest bis zum Abschluss der Reparatur oder, beim Totalschaden, solange bis ein Ersatzfahrzug neu angekauft werden kann zu entschädigen, wobei in beiden Fällen von rund zwei Wochen auszugehen ist. Kann kein Ersatzfahrzeug gemietet werden (z.B. beim Ausfall eines Spezialkrans), kann der Geschädigte unter Umständen auch einen entgangenen Gewinn oder bereits getätigte, jedoch nutzlos gewordene Aufwendungen im Zusammenhang mit der Auftragsausführung als Schaden geltend machen (mangels einsatzfähigen Krans kann der Auftrag nicht ausgeführt werden und wird an einen anderen Dienstleister vergeben, wodurch ein Gewinnausfall entsteht; Das für die Auftragserfüllung angekaufte Spezialmaterial kann nicht mehr verwendet werden). Auch Haftungsansprüche eines Vertragspartners wegen Verzugs oder anderweitiger Schäden können als ersatzfähige Schadensposition geltend gemacht werden.

 

Keinen Ersatzanspruch hat der Geschädigte jedoch dann, wenn er ohne weiteres auf einen Zweitwagen oder auf ein freies Poolfahrzeug ausweichen kann. Solche blossen Störungen im Geschäftsbetrieb führen für sich alleine noch nicht notwendigerweise zu einem Rückgang der Geschäftseinnahmen (Verminderung der Aktiven oder entgangener Gewinn) oder zu einer Zunahme der Geschäftsunkosten (Vermehrung der Passiven) und sind damit keine ersatzfähigen Schäden im Rechtssinne.

 

Vertragliche Branchenlösungen

Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass ausserhalb der schweizerischen Rechtsprechung in bestimmten Branchen vertragliche Lösungen zu Nutzungsausfallentschädigungen gefunden wurden: So haben der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) und der Schweizerische Versicherungs-Verband (SVV) bereits im Jahr 2003 ein Abkommen zur Festlegung der Tagessätze für Chômage-Entschädigungen abgeschlossen. Auch der Schweizerischen Nutzfahrzeugverband ASTAG hat im Mai 2007 eine Kalkulation der Chômage-Entschädigung entwickelt, welche vom Ausschuss der Chef-Experten der Schadenleiterkommission des SVV geprüft und genehmigt wurde. Für Mitglieder dieser Branchen und innerhalb des vertraglich vereinbarten Rahmens können somit Nutzungsausfälle von Fahrzeugen als abstrakte Schadenspositionen entschädigt werden.

 

Die Rubrik Rechtsfragen führt aboutFLEET in Kooperation mit dem Schweizer Mobilitätsverband sffv sowie BÜHLMANN KOENIG & PARTNER, eine auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei mitten in Zürich. Klienten sind vornehmlich Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungs-, Industrie- und Konsumgütersektor. Die Kanzlei ist vorwiegend im Vertrags-, Finanz- und Gesellschaftsrecht tätig und erbringt auch Steuerberatung.

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