17. Oktober 2018

Volkswagen krempelt sein Vertriebssystem in Europa um

Volkswagen macht seinen Vertrieb fit für die Zukunft. Der Hersteller baut dafür sein Online-Geschäft aus und ermöglicht den Direktvertrieb. Mit City Stores und anderen neuen Vertriebsformaten sollen Kunden individueller angesprochen werden.

Volkswagen krempelt sein Vertriebssystem in Europa um

Bei der Veranstaltung in Berlin besiegelten Volkswagen und der EDC das neue Vertriebsmodell, indem Jürgen Stackmann (rechts) und Matti Pörhö symbolisch den neuen Vertrag unterzeichneten, der ab April 2020 die Beziehungen zwischen dem Hersteller und seinen Händler- und Servicebetrieben in Europa regelt.

Sein Wunschauto im Internet zu konfigurieren ist schon fast ein alter Hut. Bei Volkswagen soll man es dort künftig auch kaufen können, direkt vom Hersteller. Die Händler sind von dieser Idee alles andere als begeistert, weshalb sich die Verhandlungen über den neuen Rahmenvertrag rund zwei Jahre hinzogen. Der Startschuss für das neue Modell in Europa fällt im April 2020.

 

Nimmt man die gute Laune zum Massstab, die VW-Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann und Dr. Matti Pörhö, der Präsident der europäischen Händlervereinigung, bei der Vorstellung der neuen Vereinbarung in Berlin verbreiteten, dann gibt es bald nur Gewinner. Doch reibungslos ging der Deal nicht vonstatten. Insbesondere die Tatsache, dass Volkswagen unter Umgehung der Autohäuser selbst als Verkäufer auftreten will, führte zu heftigen Abstossungsreaktionen.

 

Die entscheidende Unterschrift müssen jedoch die Chefs der Autohäuser in eigener Verantwortung leisten, und es ist keinesfalls sicher, dass alle 5400 Händler- und Servicepartner noch mit an Bord sind, wenn das Abkommen am 1. April 2020 in Kraft tritt. Jürgen Stackmann geht davon aus, dass auch «Standorte geschlossen» werden, womöglich mutiert der eine oder andere Autosalon zu einem Supermarkt. Als wesentliches Ziel des Paktes sieht es Matti Pörhö an, die Stärke der Organisation zu erhalten, sie aber zu reformieren. Schliesslich geht es um den Verkauf von 1,7 Millionen PW jährlich in Europa, dazu Reparatur- und Serviceleistungen.

 

Gänzlich neu werden die zahlreichen digitalen Dienstleistungen sein, die VW-Kunden dann in Anspruch nehmen können. Sie reichen von Online-Updates für die zahlreichen Informations- und Assistenzsysteme des Autos, Zukauf von Software sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit Ladeservice für Elektromobile oder Car-Sharing. Im Zentrum steht dabei der Aufbau einer gigantischen Datenbank, in der Identifikations-Nummern für Händler, Kunden und Fahrzeuge vergeben und zusammengeführt werden. Kunden sollen aber die vollständige Kontrolle über die von ihnen gespeicherten Daten behalten.

 

Eine positiv besetzte und unverdächtig klingende Vokabel fand denn auch recht häufig Verwendung in der Präsentation. Ein «Öko-System» aus Hersteller, Importeuren und Handelsorganisationen werde dort geschaffen, waren sich Stackmann und Pörhö einig, zu dem auch City-Showrooms und so genannte Pop-up-Stores gehören. «Es geht nicht mehr um Glaspaläste», ist sich Jürgen Stackmann sicher, «diese Zeit ist vorbei». Gleichzeitig möchte er mögliche Existenzsorgen von Händlern, die sich vom Online-Direktvertrieb bedroht fühlen könnten, zerstreuen. Er rechnet mit einem Anteil von «maximal fünf Prozent» am Gesamtvolumen der Verkäufe bis 2025.

 

Dazu wird eine Internet-Plattform aufgebaut, die den gesamten Kaufprozess bis hin zum Vertragsabschluss, einschliesslich Finanzierung, Bezahlung und Inzahlungnahme eines Gebrauchswagens ermöglicht. Als Kompensation für eventuell entgangene Umsätze beinhaltet das Vertragswerk auch eine Beteiligung der Händler an Verkäufen, die direkt zwischen Hersteller und Endkunden stattfinden. Wenn beispielsweise jemand eine digitale Aufrüstung für sein Fahrzeug ordert, ohne dass dazu eine Werkstatt aufgesucht werden muss, soll für die VW- und Audi-Partner ein gewisser Prozentsatz abfallen.

 

Gleichzeitig mit der Neuorganisation des Vertriebs soll eine grundsätzliche Renovierung der Abläufe in den Handelsbetrieben stattfinden. Die administrative Bearbeitung von Aufträgen dauerte in der Vergangenheit zu lange, hat Stackmann festgestellt. Mehr als eine Stunde im Schnitt gehen für Eingaben in verschiedene Verwaltungs- und Bestellsysteme drauf, «das ist katastrophal, wie es jetzt läuft», so der Vertriebsvorstand. Durch Prozess-Optimierung soll nicht nur die Rentabilität gesteigert, sondern auch Zeit gewonnen werden, die der Verkäufer oder Servicepartner für den Kunden aufwenden kann. Die Kontaktrate mit ihnen soll deutlich erhöht werden. Im Idealfall werden dem Kunden also Wünsche erfüllt, von denen er heute noch gar nicht weiss, dass er sie hat.

 

Auf lange Sicht wird die Marke Volkswagen das veränderte Geschäftsmodell nicht als Exklusiv-Unternehmung betreiben. Die anderen Konzernmarken «gehen auch in diese Richtung», sagte Vertriebschef Stackmann in Berlin. Obwohl es noch rund 17 Monate dauert, bis das Abkommen Rechtskraft erlangt, tickt bei den Volkswagen- und Audi-Partnern bereits die Uhr: Nur rund sechs Wochen bleiben ihnen, die 760 Gramm schwere Blattsammlung durchzuarbeiten. Bis 30. November erwartet man in Wolfsburg ihre Unterschriften. (pd/ir)

 

www.volkswagen.ch

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