Rechtsfrage: Fristlose Kündigung bei Führerausweisentzug
Posted by: Michael Lusk
Mitarbeiter A ist im Aussendienst bei der Firma X tätig. Aufgrund Fahrens in alkoholisiertem Zustand mit dem Firmenfahrzeug wird A der Führerausweis auf der Stelle durch die Polizei entzogen. A kann die nächsten drei Monate keine Fahrzeuge mehr lenken und seine Aussendiensttätigkeit damit nicht wahrnehmen. Die Firma X fragt sich, ob sie A fristlos entlassen kann.
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Text: Philipp Brunner
1. Rechtliche Voraussetzungen
Nach Art. 337 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) kann die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis jederzeit aus wichtigem Grund fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitgeberin objektiv nicht mehr zumutbar ist, das Vertrauensverhältnis zum Arbeitnehmer zerstört oder wenigstens tiefgreifend zerrüttet ist. Eine fristlose Entlassung ist als ultima ratio nur bei besonders schweren Verfehlungen gerechtfertigt und wird von der Rechtsprechung nur mit Zurückhaltung für zulässig erachtet.
Zieht die Arbeitgeberin eine fristlose Kündigung in Betracht, muss sie sofort handeln. Die Gerichte erachten eine Bedenkzeit von maximal 1-3 Tagen als zulässig. Anschliessend verwirkt das Recht zur fristlose Kündigung und steigt für die Arbeitgeberin das Risiko, wegen ungerechtfertigter fristloser Kündigung zu haften. Dies umfasst neben der Lohnnachzahlung bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist zusätzlich eine Strafzahlung von bis zu sechs Monatslöhnen (Art. 337c OR). Die Arbeitgeberin muss damit unter Zeitdruck gut abwägen, ob sich das Risiko einer fristlosen Kündigung lohnt, ob stattdessen besser eine ordentliche Kündigung ausgesprochen werden soll oder ob andere arbeitsrechtliche Massnahmen zielführend sind. Diesbezüglich kann auf den Beitrag in Ausgabe 03/2024 hingewiesen werden, in welchem solche Massnahmen bereits diskutiert wurden.
2. Der wichtige Grund
Der wichtige Grund für die fristlose Kündigung kann unter Umständen bereits in der Tatsache des Führerausweisentzugs als solchen liegen. Kann A aufgrund des Führerausweisentzugs faktisch seine Arbeitstätigkeit nicht mehr ausüben, ist er nicht mehr in der Lage seinen Arbeitsvertrag zu erfüllen. Hier wird es regelmässig darauf ankommen, wie lange der Führerausweisentzug andauert. Bei einem kurzen Entzug von einem Monat sind mildere Massnahmen durchaus denkbar, z.B. sofortiger Bezug von Ferien, Verrechnung von Überstunden oder Zuweisung anderer Arbeit im Unternehmen. Bei einer längeren Entzugsdauer dürften solche Ersatzmassnahmen zunehmend schwierig oder unmöglich werden, sodass eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitgeberin eher nicht zumutbar wäre.
Der wichtige Grund kann aber auch im Verhalten des Arbeitnehmers liegen: Kann man A einen persönlichen und schweren Vorwurf machen? Wie stark alkoholisiert war A? Hat er ein generelles Suchtproblem? Liegt ein Wiederholungsfall vor? Wurde A bereits einmal verwarnt und wie gross ist das Risiko einer Wiederholung seines Fehlverhaltens? Liegt im Verhalten von A eine verminderte Eignung für seine berufliche Tätigkeit oder deutet sein Verhalten auf charakterliche Defizite, welche die zukünftige Zusammenarbeit verunmöglichen, liegt darin ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung. Dies ungeachtet von der Dauer des Ausweisentzugs und ungeachtet dessen, dass für eine kurze Dauer allenfalls Ersatzlösungen gefunden werden könnten. In einem solchen Fall kann und muss die Arbeitgeberin unverzüglich die fristlose Kündigung aussprechen. Andernfalls verwirkt das Recht zur fristlosen Kündigung.
3. Sofortiger vs. späterer Ausweisentzug
Ist der Ausweisentzug als solcher der wichtige Kündigungsgrund, spielt dessen Zeitpunkt unter Umständen eine grosse Rolle. Wird der Führerausweis durch die Polizei an Ort und Stelle entzogen, und tritt der wichtige Grund damit sofort ein, muss die Arbeitgeberin umgehend handeln und die Umstände des Einzelfalls abklären. Kommt sie zum Schluss, dass in der Tatsache des Führerausweisentzugs ein wichtiger Kündigungsgrund liegt, muss die fristlose Kündigung sofort ausgesprochen werden.
Rechtlich komplex ist die Situation hingegen, wenn der Führerausweis nicht sofort entzogen wird, sondern zunächst ein Administrativverfahren vorangeht. Die Arbeitgeberin hat unter Umständen bereits Monate im Voraus Kenntnis vom drohenden Führerausweisentzug und kennt damit den drohenden wichtigen Grund. Die arbeitsrechtliche Konsequenz – nämlich die verschuldete Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers A und damit der wichtige Grund – tritt aber erst Wochen oder Monate später mit dem eigentlichen Führerausweisentzug ein. Würde die Arbeitgeberin nun sofort fristlos kündigen, läge im Kündigungszeitpunkt noch kein wichtiger Grund vor, da der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt normal seine Aussendiensttätigkeit verrichten kann. Spricht die Arbeitgeberin die Kündigung hingegen sofort, aber mit Wirkung erst auf den Zeitpunkt des zukünftigen Ausweisentzugs aus, erfolgt die Kündigung nicht fristlos, sondern liegt effektiv eine Kündigung mit Kündigungsfrist vor, was gegen Art. 337 OR verstossen könnte. Wartet die Arbeitgeberin mit der Kündigung bis zum Entzug des Führerausweises zu, läuft sie Gefahr, dass die Kündigung nicht sofort mit Kenntnis des wichtigen Grundes ausgesprochen wurde.
Die Rechtslage in solchen Situationen ist bisher ungeklärt. Denkbar wäre folgender Lösungsansatz: Dem Arbeitnehmer A wird umgehend die fristlose Kündigung auf den Zeitpunkt des Ausweisentzugs schriftlich angedroht. Sobald die Verfügung im Administrativverfahren rechtskräftig ist und der Ausweisentzug effektiv erfolgt, ist die fristlose Kündigung auszusprechen, wodurch das Arbeitsverhältnis sofort beendet wird. Auch in diesem Fall muss die Arbeitgeberin aber im Sinne einer Gesamtbetrachtung prüfen, ob mildere Massnahmen im konkreten Fall möglich wären. Bei Arbeitnehmern mit kurzen Kündigungsfristen ist die Arbeitgeberin überdies gut beraten, anstelle einer fristlosen eine ordentliche Kündigung zu prüfen, um Rechtsunsicherheiten und mögliche Haftungsfolgen zu vermeiden.
Keine Rolle spielt der Zeitpunkt des Ausweisentzugs hingegen, wenn der wichtige Grund im Verhalten des Arbeitnehmers A gesehen wird. Hier muss die Arbeitgeberin in jedem Fall umgehend die fristlose Kündigung aussprechen. Auch diese Situationen können rechtlich jedoch heikel sein, falls sich der Sachverhalt und damit der Kündigungsgrund im Nachhinein nicht bestätigt. Falls die Atemalkoholmessung beim Carchauffeur knapp über 0,5 Promille ergibt, die Auswertung der Blutalkoholmessung jedoch zwei Wochen später knapp unter 0,5 Promille ausfällt, wäre die fristlose Kündigung vermutlich ungerechtfertigt, da zumindest kein Verstoss gegen das SVG vorliegt. Die Arbeitgeberin trägt bei fristlosen Kündigungen somit stets ein gewisses Risiko, da nur in seltenen Fällen der Sachverhalt im Zeitpunkt des Kündigungsentscheids absolut klar ist.
4. Praktische Beispiele
Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit namentlich Straftaten im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis sowie schwere Verkehrsregelverletzungen bei Berufschauffeuren, Aussendienstmitarbeitern oder Taxifahrern als wichtige Gründe für eine fristlose Kündigung anerkannt.
In einem Urteil vom 9. März 2017 schützte das Schweizerische Bundesgericht die fristlose Kündigung eines LKW-Chauffeurs, welcher mit 11 km/h ein Stoppschild überfuhr und eine Kollision mit Verletzungsfolge für den PKW-Lenker verursachte (BGer 4A_625/2016). Das Bundesgericht erachtete im Verhalten des Berufschauffeurs eine schwere Sorgfaltspflichtverletzung, welche die Vertrauensgrundlage der Arbeitgeberin zerstörte. In einem Urteil vom 25. März 2020 schützte das Bundesgericht sodann die fristlose Kündigung eines Automobilcenter-Mitarbeiters, welcher ein Raserdelikt beging und dem der Führerausweis für 2 Jahre entzogen wurde (innerorts 136 km/h in 60-er Zone) (BGer 4A_54/2020). Das Bundesgericht zog dabei auch den Imageschaden der Arbeitgeberin als konzessionierte Markenhändlerin in Erwägung. In einem älteren Urteil aus dem Jahr 1979 schützte das Obergicht Zürich die fristlose Kündigung eines Reisevertreters wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand mit dem Firmenauto (ZR 1979 Nr. 77). Ausschlaggebend waren der Blutalkoholgehalt von 2.0 Promille, der Totalschaden am Firmenfahrzeug sowie der Führerausweisentzug und daraus folgend die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters während 22 Monaten.
5. Fazit
Bei fristlosen Kündigungen im Zusammenhang mit Verkehrsdelikten sind stets die Umstände des Einzelfalls entscheidend und deshalb sorgfältig abzuklären. Tendenziell für einen wichtigen Grund und damit für die Zulässigkeit einer fristlosen Kündigung sprechen die Schwere der Verkehrsregelverletzung, die strafrechtlichen Konsequenzen (Freiheitsentzug bei Raserdelikten), die Dauer des Ausweisentzugs (Ausweisentzug auf Lebenszeit oder für lange Dauer), das Verhalten des Arbeitnehmers und die Schwere seiner Schuld, eine generelle eingeschränkte Eignungen zum Führen eines Fahrzeugs (Hinweise auf Suchterkrankungen, wiederholte Verkehrsregelverletzungen), vorangegangene Verwarnungen der Arbeitgeberin, eine lange ordentliche Kündigungsfrist, fehlende Möglichkeiten, den Arbeitnehmer in anderer Funktion intern zu beschäftigen sowie auch die Auswirkungen des Vorfalls auf das Image der Arbeitgeberin.
Von überstürzten Entscheidungen ist dringend abzuraten. Die Arbeitgeberin ist in solchen Fällen gut beraten, umgehend rechtliche Hilfe beizuziehen. Die Beurteilung der komplexen rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit fristlosen Kündigungen ist für Laien kaum möglich und bedarf einer fachkundigen Einschätzung von Sachverhalt und Rechtslage. Die drohenden finanziellen Folgen im Falle einer ungerechtfertigten fristlosen Kündigung können für die Arbeitgeberin erheblich sein.