15. November 2022

Lieferfrist: Versprochen ist versprochen, oder doch nicht?

Seit vielen Jahren fährt die Firma XY auf die Fahrzeuge der Marke „A“ ab. Aufgrund der Lieferfrist von rund einem Jahr entschied man sich jedoch zu einem Markenwechsel. Marke „B“ stellte eine Lieferfrist von maximal sechs Monaten in Aussicht. Entsprechend wurde die Rückgabe der alten Dienstwagen terminiert. Rund zwei Monate nach Vertragsabschluss teilte der Händler der Marke „B“ mit, dass die Lieferfrist statt der versprochenen sechs Monate ebenfalls rund ein Jahr betrage. Dies möchte Firma XY nicht hinnehmen.

Lieferfrist: Versprochen ist versprochen, oder doch nicht?
Lieferfrist: Versprochen ist versprochen, oder doch nicht?

Text: Philipp Brunner

 

Der Lieferverzug und die sich daraus ergebenden rechtlichen Ansprüche des Bestellers sind im Kaufvertragsrecht häufig anzutreffende rechtliche Fragestellungen, welche jedoch eine gewisse Komplexität aufweisen. Die Rechtsfolgen hängen stark von den vertraglichen Abreden der Parteien und von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. An dieser Stelle kann deshalb nur ein genereller Überblick über die rechtliche Thematik gegeben werden:

 

1. Lieferverzug des Lieferanten

Ob und wann der Lieferant in Lieferverzug gerät, hängt von den konkret vereinbarten Lieferkonditionen ab und bestimmt sich nach Art. 102 des schweizerischen Obligationenrechts (OR). Wurde ein bestimmter Liefertermin vereinbart (Lieferung am 14. März 2023, sog. Verfalltag), gerät der Lieferant ab dem 15. März 2023 automatisch in Lieferverzug. Wurde dagegen eine Lieferfrist vereinbart (Lieferung innerhalb von 6 Monaten), muss der Besteller den Lieferanten bei Fälligkeit der Lieferung zuerst abmahnen, damit dieser in Verzug fällt. Diese Mahnung wäre im vorliegenden Fall jedoch bereits vor Ablauf der Lieferfrist möglich, da durch die Mitteilung des Lieferanten absehbar ist, dass die Lieferfrist nicht eingehalten werden kann.

 

2. Haftung des Lieferanten für Verzugsschaden

Mit Eintritt des Lieferverzugs haftet der Lieferant für die dem Besteller entstandenen Verzugsschäden nach Art. 103 und Art. 106 OR. Der Schaden könnte zum Beispiel darin bestehen, dass der Besteller die vorhandene Flotte über das Rückgabedatum hinaus weiterbetreiben muss und hierfür seinerseits eine Entschädigung an die Leasinggesellschaft zu bezahlen hat. Oder der Besteller muss vorübergehend eine Mietwagenflotte anmieten, was entsprechende Kosten verursacht. Allfällige weitere Umtriebe sind zu entschädigen, sofern diese kausal durch den Lieferverzug verursacht wurden und belegt werden können. Dieser Schadensbeweis ist im Einzelfall oft schwierig zu erbringen.

 

Der Lieferant kann sich ausserdem von der Haftung befreien, wenn er nachweist, dass ihm am Verzug keinerlei Verschulden trifft. Dies wird bei einem Lieferkettenproblem oder bei einem sonstigen Verzug des Herstellers oder Importeurs vermutlich der Fall sein.

 

3. Ansetzen einer Nachfrist

Zusammen mit der Mahnung muss der Besteller dem Lieferanten eine angemessene Nachfrist zur nachträglichen Erfüllung ansetzen (Art. 107 Abs. 1 OR). Wie lange diese Nachfrist sein muss, häng von den konkreten Umständen ab (Grösse der bestellten Flotte, Gründe des Lieferverzugs, etc.).

 

Im vorliegenden Fall könnte aber auf die Ansetzung einer Nachfrist verzichtet werden. Aus der Mitteilung des Händlers geht bereits hervor, dass die Lieferfrist doppelt solange ausfällt, wie ursprünglich vereinbart. Damit wäre eine angemessene Nachfrist wohl unnütz bzw. wäre die Lieferung für den Besteller mit so grosser Verspätung nutzlos (Art. 108 Ziff. 1 bzw. 2 OR).

 

Keine Nachfristansetzung ist dagegen erforderlich, wenn für die Lieferung ein Verfalltag vereinbart wurde (Art. 108 Ziff. 3 OR).

 

4. Wahlmöglichkeiten des Bestellers

Nach unbenütztem Ablauf der Nachfrist hat der Besteller drei Wahlmöglichkeiten (Art. 107 Abs. 2 OR):
 

  1. Er kann weiterhin an der Lieferung festhalten und Schadenersatz wegen des entstandenen Verzugsschadens verlangen;
     
  2. Er kann auf die nachträgliche Lieferung verzichten und Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Vertrags verlangen. Zum Umfang des Schadenersatzes kann auf das in Ziffer 2 vorstehend gesagte verwiesen werden. Als weiterer Schadensposten kommt z.B. der höhere Anschaffungspreis vergleichbarer Fahrzeuge (selbe Fahrzeugklasse, selbe Ausstattungsmerkmale) hinzu, wobei sich auch hier schwierige Beweisfragen stellen können.
     
  3. Als dritte Alternative kann der Besteller vom Vertrag ganz zurücktreten und wiederum Schadenersatz verlangen (Art. 109 OR). Beim Rücktritt vom Vertrag kann der Besteller die Zahlung des Kaufpreises verweigern bzw. den bereits bezahlten Kaufpreis zurückverlangen. Der Rücktritt vom Vertrag muss jedoch unverzüglich erklärt werden. Bei längerem Zuwarten wird angenommen, dass der Besteller an der Lieferung festhält.

Der Schadenersatz unter Ziffer (i) und (ii) einerseits sowie (iii) andererseits wird unterschiedlich berechnet, was je nach Variante gewisse Schadenspositionen ein- bzw. ausschliesst. Die Unterscheidung ist jedoch rechtlich-technischer Natur und sprengt den Rahmen dieses Artikels.

 

Der Schadenersatz ist bei allen drei Alternativen wiederum verschuldensabhängig: Der Lieferant kann sich damit von seiner Haftung befreien, wenn er nachweist, dass ihm am Lieferverzug kein Verschulden trifft.

 

5. Allgemeine Geschäftsbedingungen

Die vorstehenden Wahlmöglichkeiten und Ansprüche des Bestellers werden regelmässig durch abweichende vertragliche Abreden, oftmals in Form von AGB, abgeändert und eingeschränkt. So können z.B. die Modalitäten der Mahnung und Inverzugsetzung abweichen, es kann eine zwingende Nachfristansetzung vor dem Rücktritt vom Vertrag vorgesehen und die Länge einer solchen Nachfrist kann fixiert sein oder die Haftung des Lieferanten im Verzugsfall wird auf Fälle von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beschränkt. Solche vertraglichen Abreden unterliegen grundsätzlich der Parteiautonomie und sind innerhalb eines gewissen Rahmens zulässig. Wenn die Rechte des Bestellers durch solche Abreden jedoch übermässig stark beschränkt werden, insbesondere in AGB, können vertraglichen Abreden unter Umständen ungültig sein und es kommt stattdessen die gesetzliche Regelung zur Anwendung. Ob und in welchem Umfang solche vertraglichen Vereinbarungen zulässig sind, lässt sich nur anhand der konkreten vertraglichen Vereinbarungen, der AGB und der Umstände des Einzelfalls beurteilen.

 

6. Vorbereitende Massnahmen

Die rechtlichen Möglichkeiten des Bestellers sind beschränkt und im vorliegenden Fall wenig befriedigend. Insbesondere lässt sich eine Lieferung innerhalb der vereinbarten Lieferfrist rechtlich nicht erzwingen. Es gibt aber durchaus vertragliche Massnahmen, welche zumindest die Durchsetzung der Schadenersatzansprüche wesentlich erleichtern können. Gerade grössere Flottenbeschaffungen sollten deshalb juristisch eng begleitet werden, da erhebliche finanzielle Interessen auf dem Spiel stehen können.

 

Im Kaufvertrag sollten konkrete Zusicherungen (Lieferfrist, Liefertermin, Liefermodalitäten) vorgesehen werden. Ein Augenmerk sollte auch auf die Verzugsfolgen, insbesondere die Haftung des Lieferanten gelegt werden, namentlich, wenn dieser seine AGB auf den Vertrag anwendet. Beispielsweise können Vertragsstrafen bei Lieferverzug vorgesehen werden, was die schwierige und aufwändige Beweisführung im Schadensfall obsolet macht. Weiter sollten die Gründe, welche zum Rücktritt vom Vertrag berechtigen, spezifisch ausgeführt werden, um rechtliche Zweifel über die Zulässigkeit des Rücktritts auszuräumen und damit eine mögliche Haftung des Bestellers auszuschliessen. Auch mit der bestehenden Leasingfirma der aktuellen Fahrzeugflotte kann allenfalls vorsorglich eine Lösung für den Verzugsfall gefunden werden, z.B. durch eine flexible Verlängerung der Nutzungsdauer der aktuellen Flottenfahrzeuge. Die hierbei potenziell entstehenden Zusatzkosten können wiederum in die Vertragsstrafe des Lieferanten eingepreist werden.

 

Die Rubrik Rechtsfragen führt aboutFLEET in Kooperation mit dem Schweizer Mobilitätsverband sffv sowie BÜHLMANN KOENIG & PARTNER, eine auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei mitten in Zürich. Klienten sind vornehmlich Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungs-, Industrie- und Konsumgütersektor. Die Kanzlei ist vorwiegend im Vertrags-, Finanz- und Gesellschaftsrecht tätig und erbringt auch Steuerberatung. BÜHLMANN KOENIG & PARTNER legt grossen Wert auf hochstehende Dienstleistungen zu fairen Preisen. Die Kanzlei ist stark international ausgerichtet und Mitglied von Lexlink, einem internationalen Verbund von kleineren wirtschaftsrechtlich fokussierten Anwaltskanzleien.

 

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