Rechtsfrage: Darf mir der Arbeitgeber die Höchstgeschwindigkeit vorschreiben?
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XY ist mit seinem Dienstwagen beruflich des Öftern in Deutschland unterwegs. Aufgrund des höheren Spritverbrauchs (im Vergleich zu den Kollegen, welche nur national unterwegs sind) sowie aus Sicherheitsgründen will der Arbeitgeber nun die Höchstgeschwindigkeit bei dienstlichen Fahrten auch auf deutschen Autobahnstrecken begrenzen, wo keine Geschwindigkeitsbegrenzung vorliegt. Maximal soll 130 km/h schnell gefahren werden dürfen. Dies möchte der Arbeitgeber in der Car-Policy festlegen und allfällige Verstösse sanktionieren. Ist eine solche Vorgabe seitens des Unternehmens zulässig, und muss sich XY daran halten?
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie weit das arbeitsvertragliche Weisungsrecht des Arbeitgebers geht und mit welchen Mitteln dieses Weisungsrecht gegenüber dem Arbeitnehmenden durchgesetzt werden kann.
1. Umfang und Grenzen des Weisungsrechts des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber kann gemäss Art. 321d Abs. 1 schweizerisches Obligationenrecht (OR) Vorschriften zur Ausführung der Arbeit im Betrieb treffen, entweder in Form allgemeiner Anordnungen (z. B. einer generellen Car-Policy) oder durch individuelle Weisungen. Das Weisungsrecht ist Ausfluss des zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmendem bestehenden Subordinationsverhältnisses. Anordnungen und Weisungen des Arbeitgebers sind vom Arbeitnehmenden nach Treu und Glauben zu befolgen (Art. 321d Abs. 2 OR). Das Weisungsrecht gilt jedoch nicht absolut. Anordnungen und Weisungen des Arbeitgebers dürfen nicht gegen zwingende Bestimmungen des geltenden Rechts verstossen. Zudem hat der Arbeitgeber das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmenden zu beachten (Art. 328 OR), was bei der vorliegenden Fragestellung jedoch vernachlässigbar ist. Das Weisungsrecht erstreckt sich auch auf den Umgang mit dem Dienstfahrzeug. So kann und darf der Arbeitgeber Weisungen zur Wartung, zur Beladung und Ladungssicherung, zum technischen Unterhalt und auch zum Einsatz des Fahrzeugs im Strassenverkehr machen. Im letzteren Fall sind auch Vorgaben zur Einhaltung einer spezifischen Höchstgeschwindigkeit zulässig, sofern diese im Rahmen der geltenden Strassenverkehrsordnung liegen. Auf deutschen Autobahnen gilt bei günstigen Strassen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen eine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h, sofern nicht anders signalisiert (§1 deutsche Autobahn-Richtgeschwindigkeits-V). Die Anordnung des Arbeitgebers, auf deutschen Autobahnen ohne signalisierte Geschwindigkeitsbegrenzung höchstens 130 km/h zu fahren, erfolgt damit im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen und ist nicht zu beanstanden. Dies unbenommen, ob der Arbeitgeber diese Weisung aus Sicherheitsgründen oder zur Schonung der Ressourcen beziehungsweise aus Kostengründen (Reduktion des Treibstoffverbrauchs) erlässt. Klar unzulässig wäre dagegen die Weisung des Arbeitgebers, die geltende Höchstgeschwindigkeit zu überschreiten. Auch die Weisung, eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeit auf Autobahnen ohne sachliche Gründe (z. B. bei schlechten Witterungsverhältnissen) zu unterschreiten, wäre nicht zulässig. In jedem Fall ist der Arbeitnehmer als Fahrzeuglenker dafür verantwortlich, die Höchstgeschwindigkeit unter Beachtung der vorherrschenden Strassen-,Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnisse anzupassen und wenn nötig langsamer zu fahren. Gesetzeswidrigen Weisungen des Arbeitgebers kann sich der Arbeitgeber widersetzen, ohne dass ihm daraus arbeitsvertragliche Nachteile erwachsen.
2. Sanktionierung von Verstössen
Als mögliche Sanktion von Verstössen gegen die vorgegebene Weisung erscheint eine Busse naheliegend. Bussen sind jedoch arbeitsrechtlich nur in engen Schranken zulässig.
2.1 Bussen
Die Busse als Disziplinarmassnahme muss in einer Betriebsordnung vorgesehen sein, welche in einem formellen Verfahren gemäss Art. 37 ff. Arbeitsgesetz (ArG) mit den Arbeitnehmenden ausgehandelt wurde. Sofern der Arbeitgeber seine Car-Policy in diesem formalisierten Verfahren erlassen hat und diese Car-Policy eine Busse als Disziplinarmassnahme für eine Tempoüberschreitung oder einen zu hohen Treibstoffverbrauch vorsieht, könnte der Arbeitnehmende vom Arbeitgeber für sein Fehlverhalten gebüsst werden (Art. 38 Abs. 1 ArG). Ob eine solche Busse durchsetzbar wäre, ist jedoch fraglich: Die Beweislast für den Verstoss liegt beim Arbeitgeber. Dieser Beweis dürfte im Einzelfall – wenn überhaupt – nur schwer zu erbringen sein (siehe sogleich Ziffer 2.3). Einen eindeutigen Beweis liefert zwar eine polizeilich festgestellte Tempoüberschreitung infolge einer Radarkontrolle. Die behördliche Busse ist vom fehlbaren Arbeitnehmenden zweifelsfrei selbst zu bezahlen. Eine zusätzliche (privatrechtliche) Busse durch den Arbeitgeber aufgrund des Verstosses gegen die Car-Policy käme jedoch einer Doppelbestrafung gleich und ist meines Erachtens gerade nicht zulässig.
2.2 Verwarnung und Kündigung
Sofern keine Betriebsordnung vorhanden ist, stehen dem Arbeitgeber zur Sanktionierung eines Fehlverhaltens lediglich die Mittel des Obligationenrechts zur Verfügung: Er kann dem fehlbaren Arbeitnehmenden eine Verwarnung oder einen Verweis erteilen. In schweren oder wiederholten Fällen kann der Arbeitgeber die fristlose Entlassung aussprechen. In weniger schweren Fällen hat der Kündigung jedoch stets eine Verwarnung vorauszugehen. Auch in diesen Fällen liegt die Beweislast für den Verstoss beim Arbeitgeber.
2.3 Schadenersatz
Sofern der Arbeitgeber aufgrund der Pflichtverletzung einen Schaden erleidet (vorliegend in Form eines höheren Treibstoffverbrauchs bzw. der damit verbundenen Zusatzkosten), ist der Arbeitnehmende grundsätzlich schadenersatzpflichtig (Art. 321e Abs. 1 OR). Wie vorstehend beim Aussprechen einer Busse oder einer Verwarnung trägt jedoch auch hier der Arbeitgeber die Beweislast. Er hat die Höhe des eingetretenen Schadens, das vertragswidrige Handeln und das Verschulden des Arbeitnehmenden zu beweisen. Zudem muss der Arbeitgeber den Kausalzusammenhang zwischen dem Handeln (Geschwindigkeitsüberschreitung) und dem eingetretenen Schaden (höherer Treibstoffverbrauch und höhere Kosten) beweisen. Hierzu müsste er nachweisen, dass der höhere Treibstoffverbrauch gerade aufgrund der Tempoüberschreitung entstanden ist (unter Ausschluss anderer Faktoren). Dieser Beweis dürfte im Normalfall jedoch kaum gelingen. Einerseits ist der generelle Einsatz von Fahrtenschreibern zur Kontrolle der Höchst- oder Durchschnittsgeschwindigkeit oder des Treibstoffverbrauchs aus Datenschutz- und Persönlichkeitsschutzgründen nur in Ausnahmefällen gestattet. Andererseits lassen die fahrzeuginternen Bordsysteme (Gesamtverbrauch und Treibstoff-Durchschnittsverbrauch) keine Rückschlüsse auf einen direkten Zusammenhang mit der gefahrenen Höchstgeschwindigkeit zu. Oder mit anderen Worten: Auch ein Fahrer, welcher sich an die Vorgaben betreffend Höchstgeschwindigkeit hält, kann nach individueller Fahrweise einen höheren Durchschnittverbrauch als der Flottendurchschnitt aufweisen, womit der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Treibstoffverbrauch per se nicht gelingen kann und der Schadenersatzanspruch damit entfällt.
3. Fazit
Die Anordnung einer allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen ist zulässig, sei dies in Form einer individuellen Weisung oder einer Car-Policy (allgemeine Anordnung oder formelle Betriebsordnung). Die Arbeitnehmenden haben sich insofern an eine solche Anordnung zu halten, als diese nicht gegen geltendes Recht verstösst. Die Sanktionierung von Verstössen durch Bussgelder ist nur zulässig, wenn dies explizit in einer formellen Betriebsordnung vorgesehen ist und wenn der Verstoss vom Arbeitgeber zweifelsfrei belegt werden kann. Davon abgesehen kann der Arbeitgeber Verweisungen oder Verwarnungen und in schwerwiegenden Fällen eine fristlose Kündigung aussprechen. Eine Vergütung der höheren Treibstoffkosten in Form von Schadenersatz ist zwar denkbar, dürfte im Regelfall aber an der hohen Hürde der Beweisbarkeit des Schadens beziehungsweise des Kausalzusammenhangs mit der höheren Geschwindigkeit scheitern. Naheliegender dürften eine Verwarnung oder ein Verweis des betroffenen Arbeitnehmenden sein. Hier sollte der Arbeitgeber aber auf vergleichbare Tatbestände abstellen: Der Treibstoffverbrauch von Fahrzeuglenkern in Deutschland lässt sich nur bedingt mit demjenigen in der Schweiz vergleichen. Stattdessen sollte der Treibstoffverbrauch der in Deutschland eingesetzten Arbeitnehmenden miteinander verglichen werden. Eine Verwarnung des Arbeitnehmenden wäre diesfalls aber nur bei grösseren, nicht nachvollziehbaren Verbrauchsabweichungen gerechtfertigt.
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