05. November 2021

Rechtsberatung: Steht der Dienstwagen nach einem internen Stellenwechsel weiter zur Verfügung?

XY war jahrelang im Aussendienst tätig. Während dieser Zeit stand ihm der Dienstwagen stets auch zur Nutzung für private Zwecke zur Verfügung. Ab nächstem Jahr wechselt XY in den Innendienst. Kann der Arbeitgeber den Dienstwagen aufgrund der Versetzung zurückfordern oder darf XY diesen weiterhin nutzen?

Rechtsberatung: Steht der Dienstwagen nach einem internen Stellenwechsel weiter zur Verfügung?
Rechtsberatung: Steht der Dienstwagen nach einem internen Stellenwechsel weiter zur Verfügung?

Text: Philipp Brunner, Rechtsanwalt | LL.M. Partner

 

Die Nutzungsrechte der Arbeitnehmenden an Geschäftsfahrzeugen führen bei internen Versetzungen und Kündigungen in der Praxis immer wieder zu rechtlichen Fragen. Dies insbesondere dann, wenn der Dienstwagen bisher auch für private Zwecke genutzt werden durfte und hierfür künftig nicht mehr zur Verfügung gestellt wird.

 

1. Gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers, ein Geschäftsfahrzeug zu stellen

Gemäss Art. 327 Abs. 1 OR ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmenden mit den zur Ausführung der Arbeit erforderlichen Geräten und Materialien auszurüsten. Folglich hat der Arbeitgeber das Fahrzeug für den Aussendiensteinsatz zur Verfügung zu stellen, sofern der Arbeitnehmende dieses zur Arbeitsausführung zwingend benötigt. Da der Dienstwagen für die geschäftlichen Verrichtungen nach der Versetzung in den Innendienst nicht länger erforderlich ist, fällt diese gesetzliche Verpflichtung im Zeitpunkt des Stellenwechsels im Grundsatz dahin. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmenden einen Dienstwagen für den täglichen Arbeitsweg zur Verfügung zu stellen. Er muss dem Arbeitnehmenden auch die damit verbundenen Kosten nicht ersetzen; der Arbeitsweg ist keine durch die Ausführung der Arbeit notwendige Auslage, und der Arbeitnehmende setzt das Fahrzeug nicht «für die Arbeit» ein (Art. 327a Abs. 1 OR bzw. Art. 327b Abs. 1 OR), sondern für den Arbeitsweg, welcher nicht zur Arbeit gehört. Anhand der gesetzlichen Regelung lässt sich die Fragestellung aber nicht abschliessend beantworten, da im Einzelfall oftmals abweichende vertragliche Vereinbarungen zu beachten sind, welche die gesetzliche Regelung ergänzen oder abändern.

 

2. Besteht ein vertraglicher Anspruch des Arbeitnehmenden?

Regelmässig werden die Nutzungsrechte am Dienstwagen vertraglich geregelt, entweder schriftlich im Arbeitsvertrag selbst oder in einem Nutzungsreglement. Darüber hinaus können sich Nutzungsrechte des Arbeitnehmenden aber auch aus einer mündlichen oder sogar aus einer stillschweigenden vertraglichen Vereinbarung ergeben, insbesondere durch jahrelange Duldung der Nutzung des Geschäftsfahrzeugs auch für private Zwecke. Fehlt eine ausdrückliche schriftliche Regelung, muss im Einzelfall abgeklärt werden, ob eine mündliche Vereinbarung besteht oder ob anhand der tatsächlichen Nutzungsüberlassung und des gegenseitigen (mutmasslichen) Willens der Parteien ein stillschweigendes, vertragliches Nutzungsrecht eingeräumt

wurde und wenn ja, in welchem Umfang. Im Regelfall wird dem Arbeitnehmenden vertraglich das Recht eingeräumt, den

Dienstwagen auch für private Zwecke zu nutzen, entweder entschädigungslos oder gegen eine geringfügige Kostenbeteiligung

(sog. «Fringe Benefits»). Diese private Gebrauchsüberlassung ohne oder zumindest ohne kostendeckende Gegenleistung seitens des Arbeitnehmenden stellt einen vertraglich vereinbarten Naturallohn und damit einen Lohnbestandteil dar, welcher dem Arbeitnehmenden beim Stellenwechsel nicht ohne Weiteres entzogen werden kann.

 

3. Vertragsänderung erforderlich

Wenn ein vertraglicher Nutzungsanspruch des Arbeitnehmenden am Dienstwagen besteht, kann dieses Nutzungsrecht nur mittels einer Vertragsanpassung abgeändert oder entzogen werden. Dies gilt auch dann, wenn das Nutzungsreglement für die gesamte Fahrzeugflotte angepasst werden soll. Diese Vertragsanpassung kann entweder durch eine einvernehmliche Neuregelung oder mittels einer einseitigen Vertragsänderung durch den Arbeitgeber erfolgen. Während eine einvernehmliche Neuregelung des Nutzungsrechts am Dienstwagen grundsätzlich jederzeit möglich ist, hat der Arbeitgeber bei einer einseitigen vertraglichen Anpassung die Grundsätze der Änderungskündigung zu beachten: Eine Einschränkung des Nutzungsrechts, eine Anpassung der Kostenregelung für den Privatgebrauch oder der gänzliche Entzug des Dienstwagens ist nur unter Einhaltung der gesetzlichen bzw. der längeren vertraglichen Kündigungsfrist zulässig. Dabei wird das Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt, verbunden mit einer neuen Vertragsofferte mit angepassten Konditionen (z. B. neu ohne Dienstwagen oder mit einer neu eingeführten bzw. geänderten Kostenbeteiligung). Akzeptiert der Arbeitnehmende die neuen Vertragsbedingungen, kommt nach Ablauf der Kündigungsfrist ein neuer Arbeitsvertrag zustande und gelten ab diesem Zeitpunkt die neuen Konditionen. Lehnt der Arbeitnehmende dagegen die neue Vertragsofferte ab, endet sein Arbeitsvertrag mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. In beiden Fällen kann er den Dienstwagen während der laufenden Kündigungsfrist im bisherigen Umfang weiterhin nutzen.

 

4. Nutzungsanspruch im gekündigten Arbeitsverhältnis

Die vorstehenden Rechtsfragen stellen sich auch im Rahmen der Kündigung des Anstellungsverhältnisses aus anderen Gründen. Wird das Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt und geht der Arbeitnehmende während der Kündigungsfrist weiterhin seiner Arbeitstätigkeit nach, besteht der vertragliche Anspruch auf Nutzung des Dienstwagens im Umfang des bisherigen privaten Gebrauchs bis zum Ende der Kündigungsfrist weiter. Wird der Arbeitnehmende während der Kündigungsfrist von seiner Arbeitspflicht freigestellt (sog. «Garden Leave»), benötigt er jedenfalls den Dienstwagen nicht mehr

zur Verrichtung geschäftlicher Zwecke. War dem Arbeitnehmenden vor der Freistellung eine Privatnutzung erlaubt, steht ihm diese auch während der Freistellungsperiode bis zum Ablauf der Kündigungsfrist als Naturallohn weiterhin zu. Vorbehalten bleibt eine abweichende vertragliche Vereinbarung, wonach der Nutzungsanspruch bei Freistellung entschädigungslos entfällt. In der Praxis wird diese Problematik im Sinne des Rechtsfriedens oftmals mittels einer Aufhebungs- oder Freistellungsvereinbarung geregelt: Der Arbeitnehmende kann entweder den Dienstwagen im bisherigen Umfang weiter nutzen. Oder die Parteien vereinbaren stattdessen die sofortige Rückgabe, verbunden mit einer finanziellen Entschädigung, welche dem Wert des entfallenen Gebrauchs zu privaten Zwecken entspricht, um den entfallenen Naturallohn zu entschädigen.

 

5. Fazit

Ein Stellenwechsel vom Aussen- in den Innendienst kann komplexe Rechtsfragen bezüglich der Nutzungsrechte am Dienstwagen mit sich bringen. Reine Geschäftswagen, die ausschliesslich zur Verrichtung von geschäftlichen Zwecken überlassen und genutzt werden dürfen, können auf den Zeitpunkt des Stellenwechsels zurückgefordert werden. Ist dem Arbeitnehmenden darüber hinaus auch die private Nutzung des Geschäftswagens erlaubt, stellt diese Privatnutzung im Regelfall einen Lohnbestandteil dar. Der Arbeitgeber kann dieses private Nutzungsrecht nur durch Vertragsanpassung einschränken oder entziehen. Können sich die Parteien nicht einvernehmlich einigen, muss der Arbeitgeber die Nutzungsänderung mittels einer Änderungskündigung und unter Beachtung der massgebenden Kündigungsfrist

einseitig vornehmen. Während der laufenden Kündigungsfrist steht dem Arbeitnehmenden die private Nutzung des Dienstwagens im bisherigen Umfang weiterhin zu. Dies gilt auch im Falle einer Freistellung, sofern sich die Parteien nicht anderweitig einigen können.

 

 

Die Rubrik Rechtsfragen führt aboutFLEET in Kooperation mit dem Schweizer Mobilitätsverband sffv sowie BÜHLMANN KOENIG & PARTNER, eine auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei mitten in Zürich. Klienten sind vornehmlich Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungs-, Industrie- und Konsumgütersektor. Die Kanzlei ist vorwiegend im Vertrags-, Finanz- und Gesellschaftsrecht tätig und erbringt auch Steuerberatung. BÜHLMANN KOENIG & PARTNER legt grossen Wert auf hochstehende Dienstleistungen zu fairen Preisen. Die Kanzlei ist stark international ausgerichtet und Mitglied von Lexlink, einem internationalen Verbund von kleineren wirtschaftsrechtlich fokussierten Anwaltskanzleien.

 

BÜHLMANN KOENIG & PARTNER AG

Alfred-Escher-Str. 17 • CH-8002 Zürich

Telefon +41 43 499 77 88

E-Mail info@bkp-legal.ch

SUCHEN

PROBEHEFT
BESTELLUNG

Telefon 043 499 18 60
Telefax 043 499 18 61
info@awverlag.ch

Diese Website verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Durch die weitere Nutzung der Website stimmen Sie dem zu. Um mehr über die von uns verwendeten Cookies zu erfahren, können Sie unsere RICHTLINIEN FÜR DATENSCHUTZ UND VERWENDUNG VON COOKIES aufrufen.

OK