Home

08.01.2025

Rechtsfrage: Inkasso von Auslandsbussen in der Schweiz

Mitarbeiter A begeht im grenznahen Ausland mit dem Firmenfahrzeug eine Geschwindigkeitsübertretung im Ordnungsbussenbereich. Die Fahrzeughalterin Firma X, eine Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht, erhält den Bussenbescheid postalisch zugestellt. Sie fragt sich, ob sie die ausländische Busse bezahlen muss und was für Konsequenzen ihr im Falle einer Nichtbezahlung drohen.

Rechtsfrage: Inkasso von Auslandsbussen in der Schweiz

1. Einleitung
Das Zustellen und Vollstrecken von Ordnungsbussen stellt eine Amtshandlung auf Schweizer Staatsgebiet dar. Aufgrund der territorialen Souveränität der Schweiz sind solche Amtshandlungen nur dann legal, wenn die Schweiz ein solches Handeln entweder einseitig erlaubt oder mit dem betreffenden Staat eine staatsvertragliche Regelung vorgesehen hat. 

Beim Vollzug von Ordnungsbussenverfügungen stellen sich somit zwei Fragen: 1. Ist die postalische Zustellung einer Bussenverfügung durch den fremden Staat an den Schweizer Empfänger zulässig? 2. Ist im Falle der Nichtbezahlung die Vollstreckung der ausländischen Bussenverfügung möglich? 

2. Zustellung von ausländischen Bussen
Die Schweiz erlaubt ausländischen Behörden die Zustellung von Ordnungsbussenverfügungen wegen Übertretungen von Strassenverkehrsvorschriften auf dem direkten postalischen Weg an den Schweizer Empfänger (Art. 68 Abs. 2 IRSG i. V. m. Art. 30 Abs. 2 IRSV). Darüber hinaus ist die Zustellung von Ordnungsbussen teilweise in einzelnen Staatsverträgen sowie in bilateralen Verträgen mit der Europäischen Union separat geregelt. Ausländische Behörden dürfen somit Verkehrsbussen mit der Schweizer Post oder einem Kurierdienst an die Firma X als Fahrzeughalterin zustellen, ohne dadurch die schweizerische Souveränität zu verletzen. 

3. Vollstreckung von ausländischen Bussen in der Schweiz
Falls die Firma X die Busse nicht bezahlt, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Bussenverfügung durch die Schweizer Behörden vollstreckt wird. Eine Vollstreckung durch den ausländischen Staat auf Schweizer Staatsgebiet ist in jedem Fall ausgeschlossen. Ausländische Staaten müssen für die Vollstreckung den Rechtshilfeweg beschreiten und ihre Verfügungen durch die zuständigen Schweizer Behörden im Inland vollstrecken lassen. Dies geschieht über entsprechende Staatsverträge, wobei die Schweiz mit mehreren ihrer Nachbarstaaten solche Staatsverträge abgeschlossen hat: 

3.1 Frankreich
Die Schweiz und Frankreich haben die gegenseitige Vollstreckung von Ordnungsbussen staatsvertraglich geregelt (SR 0.360.349.1). Auf Ersuchen der französischen Behörde teilt die Schweiz die Fahrzeughalterdaten sowie die Fahrzeugdaten aus dem Schweizer Halterregister mit. Basierend auf diesen Daten kann die ausländische Behörde die Bussenverfügung direkt an den Schweizer Halter zustellen. 

Wird die Busse nicht fristgerecht bezahlt, vollstrecken die Schweizer Behörden anschliessend auf Ersuchen der französischen Behörden die Bussenverfügung gegen den Fahrzeughalter, sofern gewisse Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind (Art. 47 Staatsvertrag CH – FR): 1. Die Busse muss mindestens 70 Euro bzw. 100 CHF betragen; 2. das Ersuchen beschränkt sich auf die Einforderung eines Geldbetrags und es wurden keine weiteren Massnahmen verfügt; 3. die Verfügung ist vollstreckbar und nicht verjährt; und 4. sie betrifft eine natürliche Person, welche in der Schweiz aufgrund des Sachverhalts strafrechtlich belangt werden kann. 

Im vorliegenden Fall wäre somit ein Vollstreckungsersuchen von Frankreich nicht möglich, da die Firma X als Fahrzeughalterin und Eigentümerin eine juristische Person ist. 

3.2 Deutschland
Zwischen den Staaten bestand zwar seit 2002 ein entsprechender Polizeivertrag, welcher die Zustellung von Bussenverfügungen sowie die Ermittlung und Bekanntgabe von Halterdaten regelte. Die Vollstreckung von deutschen Bussenverfügungen in der Schweiz war nach dem alten Staatsvertrag jedoch nicht möglich. Am 1. Mai 2024 ist nun aber der revidierte Polizeivertrag in Kraft getreten und regelt auch die Vollstreckungshilfe für Bussen­entscheide (SR 0.360.136.1). 

Die Voraussetzungen sind im Wesentlichen dieselben wie im Staatsvertrag mit Frankreich, wobei die Bussenhöhe aber bloss 70 EUR bzw. 80 CHF betragen muss. Anders als im Staatsvertrag mit Frankreich ist mit Deutschland aber zusätzlich vorgesehen, dass Vollstreckungsmassnehmen auch gegen juristische Personen möglich sind. Zudem ermitteln die Schweizer Behörden auf Ersuchen die Identität der fahrzeuglenkenden natürlichen Person (Art. 46 Abs. 2 und 3 Staatsvertrag CH – DE). Es ist davon auszugehen dass die Schweizer Behörden in diesem Fall das Verfahren nach Art. 7 Abs. 4 und 5 Ordnungsbussengesetz durchführen und die Firma X als Fahrzeughalterin dazu auffordern, den fehlbaren Lenker zu bezeichnen.

Die Firma X kann dadurch nach Schweizer Recht die Einleitung eines ordentlichen Strafverfahrens gegen sich selber als Fahrzeughalterin vermeiden. Damit ist eine Vollstreckung von deutschen Ordnungsbussen im Gegensatz zu Frankreich auch bei Firmenfahrzeugen von juristischen Personen möglich, entweder gegen die juristische Person oder direkt gegen den fehlbaren Lenker. 

3.3 Österreich, Liechtenstein
Zwischen Österreich, dem Fürstentum Liechtenstein und der Schweiz besteht ein trilateraler Staatsvertrag (SR 0.360.163.1). Analog der Regelung mit Deutschland forschen die Schweizer Behörden auf Ersuchen ebenfalls die Identität des fehlbaren Lenkers aus und teilen diese an die ausländische Behörde mit. Die Vollstreckung ausländischer Bussenverfügungen durch die Schweizer Behörden erfolgt analog der Regelung mit Frankreich, jedoch zusätzlich auch gegen juristische Personen. Wie in Deutschland muss die Firma X somit mit einer direkten Vollstreckung der Bussenverfügung rechnen, sofern sie der ausländischen Behörde (bzw. der ersuchenden Schweizer Amtsstelle) nicht den fehlbaren Mitarbeiter A als Lenker bekannt gibt. 

3.4 Italien
Zwischen der Schweiz und Italien besteht zwar ein Staatsvertrag betreffend die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden (SR 0.360.454.1). Jedoch regelt dieser Staatsvertrag weder die Ermittlung und den Austausch von Halterdaten noch die Vollstreckung von Bussenverfügungen durch Schweizer Behörden. Italienische Bussen können folglich in der Schweiz nicht rechtshilfeweise vollstreckt werden. 

Es ist den italienischen Behörden aber möglich und erlaubt, die Halterdaten mittels der Online-Tools gewisser kantonaler Strassenverkehrsämter zu ermitteln und die Bussenverfügungen gestützt auf Art. 30 Abs. 2 IRSV postalisch direkt an den Fahrzeughalter zuzustellen. Teilweise bedienen sich italienische Behörden auch lokaler Inkassofirmen, welche die Bussen in der Schweiz einzutreiben versuchen. Dies ist rechtlich nicht zulässig und solche Rechnungen müssen grundsätzlich nicht bezahlt werden. 

4. Empfehlungen
Wenn Schweizer Fahrzeughalter Bussenverfügungen von Behörden im grenznahen Ausland zugestellt erhalten, ist zu empfehlen, den Sachverhalt genau zu prüfen, den fehlbaren Mitarbeiter zu ermitteln und mit ihm das Gespräch über den Sachverhalt zu suchen. Bestehen keine begründeten Zweifel an der Korrektheit der Busse, sollte die Busse fristgerecht bezahlt werden. Andernfalls droht bei den vorerwähnten Staaten eine Zwangsvollstreckung der Busse, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. 

Eine Zahlung ist auch dann empfehlenswert, wenn kein entsprechender Staatsvertrag besteht (z. B. Italien) oder wo die Bussenhöhe (weniger als 70 bzw. 80 EUR) eine Vollstreckung der Bussenverfügung durch die Schweizer Behörden nicht zulässt. Bei einer erneuten Einreise in das Staatsgebiet des betreffenden Staates hat der fehlbare Lenker andernfalls mit Konsequenzen zu rechnen, die je nach Staat unterschiedlich gravierend ausfallen können.

Der Lenker kann von den Behörden z. B. am Zoll zur Bezahlung der Busse angehalten und zu diesem Zweck festgehalten werden. Teilweise ist auch eine Beschlagnahmung des Fahrzeugs bis zur Bezahlung der Busse möglich. Zusätzlich sehen gewisse Staaten hohe Inkasso- und Verzugsgebühren vor, falls die Busse nicht innert einer gewissen Frist bezahlt wird. Falls Bussen durch private Inkassogesellschaften geltend gemacht werden, ist ratsam, nur den Bussenbetrag zu begleichen ohne die Inkassogebühren. 

Falls der Sachverhalt unklar ist und die Busse als nicht gerechtfertigt erscheint, sollte der Verfügungsadressat innert Frist rechtliche Schritte einleiten. Hierzu ist der Beizug eines lokalen Rechtsbeistands zu empfehlen, was mit entsprechenden Kosten und Umtrieben verbunden ist. 


Die Rubrik Rechtsfragen führt aboutFLEET in Kooperation mit dem Schweizer Mobilitätsverband sffv sowie BÜHLMANN KOENIG & PARTNER, eine auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei mitten in Zürich. Klienten sind vornehmlich Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungs-, Industrie- und Konsumgütersektor. Die Kanzlei ist vorwiegend im Vertrags-, Finanz- und Gesellschaftsrecht tätig und erbringt auch Steuerberatung. BÜHLMANN KOENIG & PARTNER legt grossen Wert auf hochstehende Dienstleistungen zu fairen Preisen. Die Kanzlei ist stark international ausgerichtet und Mitglied von Lexlink, einem internationalen Verbund von kleineren wirtschaftsrechtlich fokussierten Anwaltskanzleien.

BÜHLMANN KOENIG & PARTNER AG
Alfred-Escher-Str. 17 • CH-8002 Zürich
Telefon +41 43 499 77 88
E-Mail info@bkp-legal.ch

SUCHEN