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09.09.2021

Wer haftet bei mangelnder Ladungssicherung?

Der Fuhrpark der Firma XY besteht ausschliesslich aus Kombi-Modellen, in welchen die Servicetechniker Werkzeug und diverses Material für den täglichen Berufsalltag transportieren. Eine konforme Ladungssicherung (professionelle Fahrzeugeinrichtungen, Spannsets, Auffangnetze etc.) wurde aus Kostengründen bis heute nicht angeschafft, obwohl die Mitarbeitenden den Flottenverantwortlichen mehrmals auf die Missstände aufmerksam machten. Nach einem Unfall, bei welchem die mangelhafte Ladungssicherung festgestellt wurde, stellt sich nun die Haftungsfrage.

Text: Philipp Brunner, Rechtsanwalt | LL.M. Partner 

 

Im Zusammenhang mit der Ladungssicherung bei geschäftlichen Tätigkeiten stellen sich komplexe arbeits-, straf- und haftungsrechtliche Fragen. Der Arbeitnehmende befindet sich in einem Zielkonflikt zwischen eigener Verantwortlichkeit als Fahrzeuglenker und Befolgung arbeitsrechtlicher Anweisungen des Arbeitgebers. Die nachfolgende Darstellung soll einen kurzen Überblick über die rechtliche Situation und die involvierten Risiken der Beteiligten bieten.

 

1. Pflichten und Weisungsrecht des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmenden mit den erforderlichen Geräten und Materialien auszurüsten, welche dieser zur Ausführung seiner Arbeit benötigt (Art. 327 Abs. 1 OR). Der Arbeitgeber hat ausserdem auf die Gesundheit des Arbeitnehmenden gebührend Rücksicht zu nehmen und die zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität erforderlichen Massnahmen zu treffen (Art. 328 OR). Dem Arbeitgeber steht in Bezug auf die Benutzung des Geschäftsfahrzeugs und die Ladungssicherung sodann ein Weisungsrecht zu (Art. 321d OR). Folglich hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden mit den erforderlichen Ausrüstungen zur Ladungssicherung auszustatten und die entsprechenden Sicherungsanweisungen zu kommunizieren. Arbeitnehmende haben Weisungen zu befolgen, solange diese den gesetzlichen Rahmen nicht überschreiten. Bei persönlicher rechtlicher Verantwortlichkeit des Arbeitnehmenden (z. B. der Pflicht zur Ladungssicherung als Fahrzeugführer, siehe sogleich) besteht deshalb kein entgegenstehendes Weisungsrecht des Arbeitgebers! Es liegt allein in der Verantwortung des Fahrzeugführers, die Ladung vor der Fahrt korrekt zu sichern, selbst wenn der Arbeitgeber abweichende oder entgegenstehende Weisungen vorgegeben haben sollte. Solche Weisungen müssen vom Arbeitnehmenden nicht befolgt werden. Vielmehr ist er bei Weisungen, welche den gesetzlichen Rahmen sprengen, unter Umständen sogar verpflichtet, sich den Weisungen des Arbeitgebers zu widersetzen. Dies insbesondere dann, wenn sich der Arbeitnehmende durch die Befolgung der Weisung selbst strafbar macht oder Dritte widerrechtlich schädigen könnte.

 

2. Sanktionen nach Strassenverkehrsgesetz

Das Strassenverkehrsgesetz (SVG) hält fest, dass der Fahrzeugführer für die korrekte Ladungssicherung zuständig ist (Art. 30 Abs. 2 SVG). Es ist damit die Pflicht des Arbeitnehmers als Fahrzeugführer, die Ladung vor jeder Fahrt so anzubringen und zu sichern, dass niemand gefährdet wird. Die Ladungssicherung muss gemäss Rechtsprechung nicht bloss im normalen Verkehr, sondern auch bei leichten Unfällen gewährleistet sein. Stellt die Polizei anlässlich einer Kontrolle eine mangelnde Ladungssicherung fest, kann sie den Fahrzeugausweis und die Kontrollschilder auf der Stelle einziehen und damit die Weiterfahrt untersagen (Art. 32 Abs. 2 und 3 Strassenverkehrskontrollverordnung). Die ungenügende Ladungssicherung stellt je nach Schweregrad und konkreten Umständen im Regelfall eine mittelschwere Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz dar (Art. 16b SVG). Rechtsfolge ist ein Führerausweisentzug von mindestens einem Monat im Administrativverfahren durch das zuständige Strassenverkehrsamt (Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG). Hinzu kommt eine Busse, welche im Strafbefehlsverfahren durch die zuständige Staatsanwaltschaft festgelegt wird (Art. 90 Abs. 1 SVG). Dieselbe Strafdrohung trifft auch den Arbeitgeber beziehungsweise den Vorgesetzten, wenn diese das fehlbare Verhalten des Motorfahrzeugführers veranlasst oder nicht nach ihren Möglichkeiten verhindert haben (Art. 100 Abs. 2 SVG). Da strafrechtliche Sanktionen stets persönlicher Natur sind, kann der Fahrzeuglenker die Busse nicht auf den Arbeitgeber abwälzen (wobei eine freiwillige Bezahlung durch den Arbeitgeber möglich ist). Die Rechtsverfolgungskosten des Straf- und Administrativverfahrens (Verfahrenskosten und Rechtsanwaltskosten) sind dem Arbeitnehmenden unter Umständen aber als notwendige Auslagen zu entschädigen (Art. 327a OR). Die Chancen für einen solchen Anspruch stehen gut, wenn der Arbeitgeber explizite Weisungen zur (mangelhaften) Ladungssicherung erlassen hat und damit das Strafverfahren und dessen Kosten notwendige Folge ebendieser Anordnungen sind. Dies muss im Einzelfall anhand der konkreten Umstände und Weisungen geprüft werden.

 

3. Zivilrechtliche Haftung

Kommt es zu einem Unfall, bei dem die mangelhafte Ladungssicherung mitursächlich war, stellt sich die Frage der Haftung für Sach- und Personenschäden. Dabei fällt eine Vielzahl von Haftungsnormen in Betracht, welche den Rahmen der vorliegenden Übersicht jedoch sprengen würde. Der Autor beschränkt sich deshalb auf einige ausgewählte Haftungsnormen. Gegenüber dem am Unfall beteiligten Dritten haftet gemäss Art. 58 SVG der Fahrzeughalter. Da für jedes in der Schweiz eingelöste Fahrzeug eine obligatorische Haftpflichtversicherung besteht, deckt diese den Schaden der am Unfall beteiligten Dritten (nicht aber denjenigen des Fahrzeughalters!). Im internen Haftungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmendem kommt es auf die Haltereigenschaft an: Nach konstanter Rechtsprechung gilt als Halter derjenige, auf dessen Rechnung und Gefahr der Betrieb des Fahrzeuges erfolgt und der die tatsächliche und unmittelbare Verfügung besitzt. Danach wird der Arbeitnehmende selbst Halter des Geschäftsautos, wenn er über längere Zeit im Wesentlichen frei über das Fahrzeug verfügen, insbesondere dieses auch zu privaten Zwecken nutzen kann. Kommt der Arbeitnehmende als Fahrzeughalter beim Unfall selbst zu Schaden, kann er gegen die Haftpflichtversicherung keine Haftungsansprüche nach Art. 58 SVG geltend machen. Dasselbe gilt bei Verwendung des Privatfahrzeugs des Arbeitnehmenden für geschäftliche Zwecke, da er zweifellos als dessen Halter qualifiziert. Selbst in einem solchen Fall sind die gesundheitlichen Schäden und der Erwerbsausfall des Arbeitnehmenden im Regelfall aber durch die Berufsunfallversicherung gedeckt. Die nicht gedeckten Schäden (Genugtuungsanspruch, Sachschäden, nicht versicherte Leistungen etc.) kann er gegenüber dem Arbeitgeber über eine vertragliche Haftungsnorm (Art. 328 OR) geltend machen, sofern er diesem mindestens ein leichtes Verschulden vorzuwerfen vermag. Dies dürfte bei fehlenden Sicherungsvorrichtungen und einschlägigen Weisungen des Arbeitgebers der Fall sein, insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmende den Arbeitgeber vorab über die mangelnden Sicherungsvorkehrungen abgemahnt hat. Andererseits muss der Arbeitnehmende sich wohl eine gewisse Kürzung des Schadenersatzes wegen Selbstverschuldens gefallen lassen, hat er doch die mangelnde Ladungssicherung als Fahrzeuglenker ebenfalls mitzuverantworten. Sehr wahrscheinlich ist sodann ein Rückgriff der leistungspflichtigen Versicherung gegenüber dem Arbeitgeber wegen (grob) fahrlässigen Verhaltens.

 

4. Wie soll der Arbeitnehmende vorgehen?

Da der Begriff «korrekte Ladungssicherung» auslegungsbedürftig ist und von der Art der Ladung und den konkreten Umständen abhängt, sollte der Arbeitnehmende den Arbeitgeber schriftlich über die seiner Meinung nach fehlenden oder mangelhaften Sicherungsvorrichtungen in Kenntnis setzen und diesen auffordern, die technischen Sicherungsvorrichtungen für das Fahrzeug zur Verfügung zu stellen. Finden die Parteien keine einvernehmliche Lösung, könnte der Arbeitnehmende solche Vorrichtungen auf eigene Kosten anschaffen. Ob diese Vorrichtungen als mit der Arbeitsausführung notwendig verbundene Auslagen zu qualifizieren und vom Arbeitgeber zu ersetzen sind (Art. 327a OR), bleibt jedoch offen und hängt von den konkreten Umständen ab. Notfalls müsste der Arbeitnehmende diesen Anspruch auf dem Rechtsweg durchsetzen, was ein kostspieliges Unterfangen sein kann. Stattdessen ist es dem Arbeitnehmenden unbenommen, die gesetzwidrigen Weisungen des Arbeitgebers in Bezug auf die mangelhafte Ladungssicherung nicht zu befolgen. Der Arbeitgeber kann vom Arbeitnehmenden nicht verlangen, ein Fahrzeug mit mangelnder Ladungssicherung in Verkehr zu setzen und sich damit gesetzwidrig zu verhalten oder sogar selbst zu gefährden. Falls der Arbeitgeber zu (ungerechtfertigten) disziplinarischen Massnahmen greift oder eine (ungerechtfertigte) Kündigung aussprechen sollte, wäre der Arbeitnehmende wiederum gezwungen, seine Ansprüche auf dem Rechtsweg durchzusetzen.

 

Die Rubrik Rechtsfragen führt aboutFLEET in Kooperation mit dem Schweizer Mobilitätsverband sffv sowie BÜHLMANN KOENIG & PARTNER, eine auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei mitten in Zürich. Klienten sind vornehmlich Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungs-, Industrie- und Konsumgütersektor. Die Kanzlei ist vorwiegend im Vertrags-, Finanz- und Gesellschaftsrecht tätig und erbringt auch Steuerberatung. BÜHLMANN KOENIG & PARTNER legt grossen Wert auf hochstehende Dienstleistungen zu fairen Preisen. Die Kanzlei ist stark international ausgerichtet und Mitglied von Lexlink, einem internationalen Verbund von kleineren wirtschaftsrechtlich fokussierten Anwaltskanzleien.

 

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