Flottenporträt: Saubere Nutzfahrzeuge für eine saubere Hauptstadt
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2009 gab sich der Berner Gemeinderat ein Jahrzehnt Zeit, den städtischen Fuhrpark vollständig zu elektrifizieren. Das aktuelle Fazit: Die Fahrtrichtung stimmt, aber der Weg ist noch weit. Vor allem die Beschaffung der Kommunalfahrzeuge und der optimale Ausbau der Ladeinfrastruktur sind Herausforderungen, die es überlegt anzugehen gilt, wie aboutFLEET während eines virtuellen Besuchs beim Tiefbauamt der Stadt Bern erfuhr.
Text: Fabio Simeon
Es war mehr eine richtungsweisende Willensäusserung als ein Realvorhaben, als der Berner Gemeinderat 2009 in seinen Legislaturrichtlinien «StrategieBern 2020» formulierte, dass bis ins Jahr 2020 alle Fahrzeuge der öffentlichen Hand CO2-frei fahren sollten. Wie ein Blick auf den aktuellen städtischen Fuhrpark zeigt, sind von den rund 180 Fahrzeugen zum Personentransport – dazu gehören neben den 83 PWs auch E-Roller, Fahrräder, E-Bikes und Lastenvelos – rund 60 % elektrifiziert. Bei den Nutz-, Kommunal- und Spezialfahrzeugen liegt jedoch der Anteil an Fahrzeugen mit alternativem Antrieb noch unter 10 %, Tendenz steigend.
Nebst der zentral gemanagten Flotte, welche vor allem dem Personentransport dient, bewirtschaftet die Stadt noch jene der Transport- und Kommunalfahrzeuge. Deren Unterhalt ist laut der Stadtberner «Energie und Klimastrategie 2025» besonders energieintensiv: «Die grossen Energieverbraucher in der städtischen Flotte sind die Nutzfahrzeuge. Weniger als 10 % des Fahrzeugbestands verursachen rund 40 % des Energieverbrauchs.» Grund genug, ein besonderes Augenmerk auf die im Tiefbauamt eingesetzte Flotte zu werfen.
Diese zählt insgesamt 225 Fahrzeuge und hat mit Bernhard Rüegg ihren eigenen Flottenmanager. «Das Tiefbauamt ist der grösste Fahrzeugbesitzer der Stadtverwaltung. Unsere Kernaufgaben sind Planung, Bau, Betrieb sowie Unterhalt von Tiefbauinfrastruktur – oder kurz: Wir kümmern uns um alles, was auf dem Boden liegt oder darunter. Dementsprechend vielfältig fallen die Fahrzeugtypen unseres Fuhrparks aus», erklärt Rüegg im Interview. Eines haben sie alle gemeinsam – sie sollen in naher und ferner Zukunft alle elektrifiziert respektive mit alternativen Antrieben betrieben werden.
Leichter gesagt als getan. Denn: Neben den normalen Personenwagen beherbergt Rüeggs Fuhrpark vom E-Bike über Wischmaschinen bis hin zum 28-Tönner alles, was ein «Büezer»- Herz begehrt. Infolgedessen gestaltet sich die vollständige Elektrifizierung komplizierter als bei reinen Autoflotten: «Eine Herausforderung bilden vor allem elektrifizierte Spezialfahrzeuge wie Saug- und Spülwagen, da diese noch nicht serienmässig hergestellt werden. Sofern es die finanziellen Mittel und der Einsatzzweck aber zulassen, werden unsere Fahrzeuge bei Ersatzbeschaffungen fortlaufend durch elektrifizierte Modelle ausgetauscht. Zudem haben wir bereits eine erste Charge E-Wischmaschinen in Betrieb. Auch alle unsere Kleinmüllfahrzeuge sind unterdessen lokal emissionsfrei unterwegs.» Letztere entsorgten in der Bundesstadt 2020 rund 3000 Tonnen Abfall – ohne Hauskehricht.
Dafür stehen die Fahrzeuge jeden Tag von morgens bis abends im Einsatz. Aufgeladen werden sie in der Nacht und während Pausen. «Der Ladebetrieb basiert mittlerweile auf einem komplexen und ganzheitlichen System», erläutert der Flottenmanager. Am Anfang habe man die einzelnen Fahrzeuge nach Schichtende eingesteckt und morgens zu Beginn wieder vom Netz getrennt. Während parallel zur steigenden Zahl an E-Fahrzeugen auch die Ladekosten in die Höhe stiegen, stagnierte die Stromeinspeisung seitens des Elektrizitätswerks; sie hätte sich nur durch teure Umbauten – eine Vergrösserung des Zuleitungsquerschnitts – erhöhen lassen. Schnell wurde klar, dass nach einer alternativen Lösung gesucht werden muss. Gefunden hat sie das Tiefbauamt in der Zusammenarbeit mit The Mobility House, einem Technologieunternehmen mit seinem Lade- und Energiemanagementsystem ChargePilot.
«Mit unserem herstellerneutralen Lade- und Energiemanagementsystem peilen wir überall, wo mehrere Fahrzeuge pro Netzanschlusspunkt geladen werden müssen, die bestmögliche Ausnutzung des physikalischen Netzanschlusses bei möglichst tiefen Betriebskosten an», erklärt Christian Müller, General Manager Schweiz bei The Mobility House. Auch seitens der Netzbetreiber werden solche Regulierungssysteme immer häufiger verlangt. Müller hat das Elektrifizierungsprojekt des Tiefbauamts von Anfang an begleitet. «Vor der Realisierung wurden mit dem Team von Herrn Rüegg in einer Simulation verschiedenste Parameter wie der Energieverbrauch der Fahrzeuge, ihre Lademöglichkeiten und Einsatzzeiten zusammengetragen, ehe nach den Berechnungen in Abhängigkeit des Energieprofils mit der Ummodelung hin zur optimalen, intelligenten Ladeinfrastrukturlösung begonnen wurde», führt der Ingenieur weiter aus.
Ein Hauptziel von Lade- und Energiemanagementsystemen ist es, sogenannten Strom-Peaks vorzubeugen. Diese bestimmen massgeblich den Tarif für Unternehmen, welcher auf Grund ihres hohen Stromverbrauchs nach ihren Leistungsspitzen berechnet wird. «Lädt man mehrere Fahrzeuge gleichzeitig, benötigt man viel Leistung und die Lastkurve steigt an. Fraktioniert man die Aufladung zeitlich intelligent, flacht die Kurve ab und mit ihr die Stromkosten», erklärt Müller. Natürlich müsse ein solches System auch skalierbar sein – in der Anzahl der Ladeanschlüsse sowie in der Technologie. «In unserem System, das auf einer offenen Schnittstellenarchitektur basiert, können wir die Anzahl der Ladepunkte beliebig erweitern und unterschiedlichste Ladestationen miteinander verbinden – auch eine Mischung aus Gleich- und Wechselstromanlagen ist dabei problemlos möglich», sagt der General Manager. Ein Vorteil, der vor allem dann zum Tragen kommt, wenn zum Beispiel die ersten Nutz- und Kommunalfahrzeuge dank DC-Anschluss in der Mittagspause geladen werden können.
Noch zukunftsorientierter wirds, als uns Müller seine «Roadmap» des Ladens erläutert: «Diese kann man sich wie eine dreistufige Treppe vorstellen. Die Basis wurde mit der Einführung der ersten E-Autos vor etwa 10 Jahren geschaffen. Diese lud man vielfach über die Haushaltssteckdose, im besten Fall mittels einfacher ‹Wallboxen›, auf – was bekanntermassen lange dauerte und auch sonst nicht immer optimal vonstatten ging. Das Grundbedürfnis des Ladens war vorerst gestillt. Daraufhin kamen immer mehr Hersteller von E-Fahrzeugen und Ladestationen auf den Markt, wodurch die Elektrifizierung auch für Flotten interessante Modelle bereithält. Seither wurden die Rufe nach ökonomischem Laden und spezifischen Kostenaufteilungen und -abrechnungen immer lauter. Die zweite Treppenstufe ist erreicht. Die künftig noch anzustrebende Treppenspitze ermöglicht eine Gewinnerwirtschaftung für den Ladenden, etwa durch die bidirektionale Fahrzeug-Netz Integration (Stichwort ‹Vehicle-to-Grid›).»
Im besten Falle lassen sich künftig mit einem Lade- und Energiemanagementsystem also nicht nur Kosten sparen, sondern auch ein paar Franken dazuverdienen. Möglich machen dies zwei physikalische Grundsätze, die besagen, dass sich elektrische Energie nur aufwendig speichern lässt, eine Batterie aber dazu genutzt werden kann. Da E-Fahrzeuge durchschnittlich 90 % ihrer Lebenszyklen stehen, liessen sich ihre Akkus als flexible Stromspeicher nutzen, welche man zum Beispiel in Zeiten günstiger Strompreise lädt, um die Energie später wieder ins Netz zurückzuspeisen – natürlich gegen Aufpreis.
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