30. April 2024

Rechtsfrage: Führerausweisentzug und arbeitsrechtliche Massnahmen

Dem Arbeitnehmer A wird aufgrund einer Geschwindigkeitsübertretung für einen Monat der Führerausweis entzogen. Da A Berufschauffeur ist, kann er seinen Job faktisch nicht ausüben. Die Arbeitgeberin X fragt sich, welche arbeitsrechtlichen Massnahmen sie in diesem Fall ergreifen kann.

Rechtsfrage: Führerausweisentzug und arbeitsrechtliche Massnahmen

Text: Philipp Brunner

1. Inhalt der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht
Der Arbeitnehmer hat sich im Arbeitsvertrag zur Leistung von Arbeit gegen Lohn verpflichtet. Kann er aufgrund des Führerausweisentzugs seiner vertragliche Arbeitsleitung nicht nachgehen, gilt im Grundsatz «ohne Arbeit kein Lohn» bzw. ohne Leistung keine Gegenleistung. Von diesem Grundsatz gibt es im schweizerischen Arbeitsrecht jedoch gewichtige Ausnahmen. 

2. Relevanz des Verschuldens
Ob und welche Ausnahmen greifen sowie deren Tragweite, hängt oft davon ab, wie gross das Verschulden des Arbeitnehmers an seiner Arbeitsverhinderung ist. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeit sorgfältig auszuführen (Art. 321a des Schweizerischen Obligationenrechts (OR)). Hierzu gehört auch, dass er Verkehrsdelikte im Dienst zu vermeiden hat. 

Hat der Berufschauffeur aufgrund einer Unachtsamkeit eine Geschwindigkeitsübertretung begangen, welche gerade knapp zu einem Führerausweis­entzug von einem Monat geführt hat, dürfte wohl noch von einer leichten Fahrlässigkeit und damit von einem leichten Verschulden auszugehen sein. Hat er hingegen in seiner Freizeit mit seinem Privatfahrzeug ein Raserdelikt begangen oder ist er alkoholisiert oder unter Einfluss von Betäubungsmitteln gefahren, ist hingegen von einer groben Fahrlässigkeit oder von Vorsatz und damit von einem schweren Verschulden auszugehen. Welches Mass an Verschulden dem Arbeitnehmer vorzuwerfen ist, muss im Einzelfall anhand der konkreten Umstände sorgfältig geprüft und abgewägt werden. 

3. Lohnfortzahlung trotz Arbeitsverhinderung?
Art. 324a OR sieht vor, dass der Arbeitnehmer weiterhin Anspruch auf Lohnfortzahlung hat, wenn er «ohne sein Verschulden» an der Arbeitsleistung verhindert ist. Der klassische Fall ist hier die Krankheit des Arbeitnehmers. 
Die Bestimmung wird von Rechtsprechung und Lehre im Sinne des Sozialschutzes jedoch weit ausgelegt, sodass auch in Fällen leichter Fahrlässigkeit dennoch eine Lohnfortzahlungspflicht besteht (dies, obschon eigentlich ein leichtes Verschulden des Arbeitnehmers vorliegt). Bei mittlerer bis grober Fahrlässigkeit ist der Lohnanspruch verhältnismässig zu kürzen. Erst bei Vorsatz bzw. bei Eventualvorsatz entfällt der Lohnanspruch ganz und kann sich der Arbeitnehmer nicht länger auf Art. 324a OR berufen; er verliert seinen Lohnanspruch im Sinne des Grundsatzes «ohne Arbeit kein Lohn». In diesen Fällen liegt eine verschuldete und nicht länger eine unverschuldete Arbeitsverhinderung vor. 

Die Lohnfortzahlungspflicht besteht jedoch nicht unbegrenzt, sondern richtet sich nach verschiedenen kantonalen Tabellen und hängt von der Dauer des Arbeitsverhältnisses ab. Es ist damit möglich, dass einem Arbeitnehmer im ersten Anstellungsjahr bei leichtem Verschulden, aber in einem Wiederholungsfall der Führerausweis für drei Monate entzogen wird. Zwar liegt im konkreten Entzugsfall ein leichtes Verschulden vor und besteht somit eine volle Lohnfortzahlungspflicht, diese beschränkt sich jedoch lediglich auf drei Wochen (erstes Dienstjahr). Anschliessend entfällt der Lohnanspruch für den Rest der Entzugsdauer. Mit zunehmender Anstellungsdauer fällt aber auch die Lohnfortzahlungspflicht länger aus.  Je nach Branche sind überdies die geltenden Gesamtarbeitsverträge zu beachten, welche teilweise über das Obligationenrecht hinausgehende Lohnfortzahlungspflichten oder erleichterte Voraussetzungen vorsehen. 

4. Zuweisung anderer Arbeit?
Insbesondere bei längerer Entzugsdauer wird sich die Arbeitgeberin die Frage stellen, wie sie den Berufschauffeur allenfalls in anderer Funktion im Betrieb einsetzen kann. Die Arbeitgeberin kann Weisungen über die Ausführung der Arbeit erteilen und dem Arbeitnehmer innerhalb des vertraglich vereinbarten Rahmens andere Tätigkeiten zuweisen (Art. 321d OR). Der Arbeitnehmer muss sich dabei jedoch nicht gefallen lassen, dass ihm ein vollkommen anderer Beruf als der vertraglich vereinbarte zugewiesen wird. Dies wäre eine unzulässige Vertragsanpassung, welche die Arbeitgeberin nicht ohne Weiteres einseitig vornehmen kann. 

Der Arbeitnehmer ist gestützt auf seine Treuepflicht (Art. 321a OR) aber verpflichtet, bei dringenden betrieblichen Bedürfnissen vorübergehend eine andere Arbeit auszuführen. Dies muss meines Erachtens analog gelten, wenn die Bedürfnisse nicht betrieblicher Natur sind, sondern durch das verschuldete Verhalten des Arbeitnehmers begründet wurden. Weigert sich der Arbeitnehmer, die zugewiesene und zumutbare Arbeit auszuführen, so verliert er wie oben erwähnt nach einer bestimmten Zeit seinen Lohnanspruch. Der Arbeitnehmer hat somit ein eigenes Interesse daran, vorübergehend innerhalb des Betriebs eine andere zumutbare Arbeitstätigkeit auszuüben, bis er in seine angestammte Funktion als Berufschauffeur zurückkehren kann. 

5. Weitere Massnahmen
Neben den vorerwähnten stellen sich weitere Rechtsfragen, deren detaillierte Beantwortung den vorliegenden Artikel jedoch sprengen würde. Bei kurzer Entzugsdauer könnte die Anordnung des sofortigen Bezugs von Ferien oder eines (teilweise) unbezahlten Urlaubs geprüft werden. Die Arbeitgeberin könnte sich bei Ausweisentzug von mehr als einem Monat auch eine Kürzung des Ferienanspruchs überlegen (Art. 329b OR). Weiter wäre eine Verrechnung von Überstunden- oder Überzeitansprüchen prüfenswert. Sodann stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitgeberin aufgrund seines schuldhaften Verhaltens haftbar und schadenersatzpflichtig wird (Art. 321e OR). Hierzu müsste die Arbeitgeberin aber einen Schaden nachweisen können, z. B. den Verlust von konkreten Lieferaufträgen infolge Verhinderung des Berufschauffeurs, diese Lieferungen auszuführen. Die rechtlichen Hürden eines solchen Schadensnachweises sind generell hoch. 

Schliesslich stellt sich die rechtlich interessante wie komplexe Frage, ob das pflichtwidrige Verhalten des Arbeitnehmers oder bereits der Führerausweisentzug für sich allein als wichtiger Grund eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin rechtfertigen könnte (Art. 337 OR). Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Liegt kein wichtiger Grund vor und erfolgt die fristlose Kündigung damit ungerechtfertigt, wird die Arbeitgeberin ihrerseits schadenersatzpflichtig (Art. 337c OR). 

6. Fazit
Im Zusammenhang mit Führerausweisentzügen von Berufschauffeuren stellen sich einige interessante, jedoch komplexe Rechtsfragen in Bezug auf das Arbeitsverhältnis, welche von juristischen Laien kaum zu überblicken sind. Eine sorgfältige Analyse von Sachverhalt und Rechtslage ist stets angezeigt. Sofern sich die Parteien nicht einvernehmlich auf ein Vorgehen einigen können und bevor die Arbeitgeberin einseitige Entscheidungen oder Anordnungen trifft, ist der Beizug eines fachkundigen Rechtsexperten ratsam. 

Der Arbeitnehmer ist gut beraten, im Sinne der Weiterführung seines Arbeitsverhältnisses zu gewissen Massnahmen Hand zu bieten, insbesondere zu einem Bezug von Ferien oder einer Verrechnung von Überstunden. Zur Aufrechterhaltung seines Lohnfortzahlungsanspruchs sollte der Arbeitnehmer im Rahmen des für ihn Zumutbaren auch offen sein für eine vorübergehende Anpassung seiner Arbeitstätigkeit oder eine interne Versetzung. Bei grobem Verschulden oder langer Entzugsdauer des Führerausweises drohen einem Berufschauffeur andernfalls neben dem Verlust seines Lohnanspruchs weitere, erhebliche arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur (fristlosen) Kündigung. 



Die Rubrik Rechtsfragen führt aboutFLEET in Kooperation mit dem Schweizer Mobilitätsverband sffv sowie BÜHLMANN KOENIG & PARTNER, eine auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei mitten in Zürich. Klienten sind vornehmlich Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungs-, Industrie- und Konsumgütersektor. Die Kanzlei ist vorwiegend im Vertrags-, Finanz- und Gesellschaftsrecht tätig und erbringt auch Steuerberatung. BÜHLMANN KOENIG & PARTNER legt grossen Wert auf hochstehende Dienstleistungen zu fairen Preisen. Die Kanzlei ist stark international ausgerichtet und Mitglied von Lexlink, einem internationalen Verbund von kleineren wirtschaftsrechtlich fokussierten Anwaltskanzleien.

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